Psychologische Kritik: Gott ist nur menschliches Wunschdenken (Teil 1)
Schon vor über 2‘500 Jahren hat Xenophanes den polytheistischen Götterglauben seiner Zeit angezweifelt, indem er auf die menschenförmigkeit der Göttervorstellungen hingewiesen hat: «Die Äthiopier stellen sich ihre Götter schwarz und stumpfnasig vor, die Thraker dagegen blauäugig und rothaarig«, beobachtet er – und er spitzt seine Erkenntnis zu in der Übertragung auf die Tierwelt: »Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferdeähnliche, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber haben.» Der Kern seiner Kritik klar: Das, was Menschen als Gott verehren und anbeten, ist eigentlich ihren eigenen menschlichen Vorstellungen entsprungen – jeder Volksgruppe schafft sich ihre eigenen Götter. In Wirklichkeit sind die Götter der Menschen aber nur Produkte ihrer Phantasie. Xenophanes schliesst daraus noch nicht, dass es Gott gar nicht gibt, sondern dass der wahre, eine Gott hinter all diesen partikularen Gottesvorstellungen liegt. Ludwig Feuerbach, der im 19. Jahrhundert denselben Gedanken verfolgt, hält die Existenz Gottes damit allerdings für erledigt: Was Menschen «Gott» nennen, geht völlig im Menschsein auf: «Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem Gotte erkennst du den Menschen, und wiederum aus dem Menschen seinen Gott; beides ist eins. Was dem Menschen Gott ist, das ist sein Geist, seine Seele, und was des Menschen Geist, seine Seele, sein Herz, das ist sein Gott: Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochne Selbst des Menschen; die Religion die feierliche Enthüllung der verborgenen Schätze des Menschen, das Eingeständnis seiner innersten Gedanken, das öffentliche Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse» (aus: Das Wesen der Religion). Religiosität war für Feuerbach darum Ausdruck einer frühen Stufe des menschlichen Selbstbewusstseins, die es zu überwinden gilt. Wer den Glauben an Gott nicht in einen Glauben an den Menschen auflösen kann, bleibt in seiner Entwicklung stehen: Religion bindet menschliche Energien und wird zur schädlichen Illusion, die schliesslich zur Selbstentfremdung führt. Feuerbach hat sich darum zum Programm gemacht, «Menschen von Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits» zu machen. Nur wenn die christlichen Glaubensinhalte transformiert werden in Selbstaussagen des Menschen, nur wenn zB. aus dem Bekenntnis «Gott ist gütig» die Einsicht «Güte ist göttlich» wird, findet der Mensch zur eigenen Stärke und Selbstwirksamkeit zurück. Er kann dann die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem Grundsatz «homo hominis Deus est» (der Mensch ist des Menschen Gott) umgestalten. Es spricht viel dafür, diesem Einwand gegen den Gottesglauben recht zu geben. Ein beredtes Beispiel gibt etwa die Suche nach dem «historischen Jesus» ab, die v.a. im 19. Jahrhundert die theologischen Fakultäten beschäftigt hat. Man war damals von der Zuversicht und Leidenschaft getragen, durch die Anwendung historisch-kritischer Werkzeuge, durch Redaktionskritik, Quellenkritik, Formkritik usw. herausdestillieren zu können, welche Geschichten und Aussprüche wirklich auf den historischen Jesus zurückgehen. Albert Schweitzer hat dann nach der Jahrhundertwende (1906/1913) die Geschichte dieser Bemühungen über 150 Jahre hinweg nachgezeichnet – und ein berühmt gewordenes und ernüchterndes Resümee gezogen. Das Ansinnen, etwa durch die rigorose, unvoreingenommene Analyse biblischer Quellen den historischen Jesus zu bergen und »als Lehrer und Heiland in unserer Zeit hinein[zu]stellen«, ist nach Schweitzer nämlich von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Das Ergebnis solcher Bemühungen ist spätestens im historischen Rückblick unverkennbar zeitgeschichtlich geprägt und orientiert sich an den Werten und Idealen der jeweiligen Epoche wie auch an der Persönlichkeit des oder der Forschenden selbst: »So fand jede folgende Epoche der Theologie ihre Gedanken in Jesus, und anders konnte sie ihn nicht beleben. Und nicht nur die Epochen fanden sich in ihm wieder: jeder einzelne schuf ihn nach seiner eigenen Persönlichkeit.« Mit anderen Worten: Der Jesus, den man nach streng wissenschaftlichen Anstrengungen aus den Quellen »ausgegraben« hat, war dem Spiegelbild der Forschenden jeweils erstaunlich (ernüchternd) ähnlich. Ohne es bewusst zu beabsichtigen, haben Menschen ihre eigenen Züge oder genauer: ihre jeweiligen Vorstellungen eines vollkommenen, vorbildlichen Menschen in Jesus hineinprojiziert. Und trotz seiner Einsicht ist das natürlich auch nach seiner Zeit immer wieder geschehen. Verschiedene Zeiten und Milieus haben einen kommunistisch-sozialistischen Jesus, eine kapitalistisch-libertären Jesus, einen Hippie-LSD-Jesus, einen individualistisch-postmodernen Jesus usw. hervorgebracht. Was Schweitzer in seinem Fazit schon antönt, wurde in neuster Zeit eingehender untersucht: Die Frage nämlich, inwiefern das Gottesbild eines Menschen mit seiner eigenen Persnönlichkeit zusammenhängt. Verschiedene empirische Untersuchungen bekräftigen die Annahme, dass die spezifischen Persönlichkeitsmerkmale und Eigenheiten eines Menschen auch sein Gottesbild beeinflussen – und umgekehrt. Ist der Gottesglaube damit als zutiefst menschliches Unternehmen entlarvt, hinter dem gar keine göttliche Existenz steht, sondern nur die beschränkten, partikularen Wünsche und Vorstellungen des Menschen?
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