Ausgeglaubt: ein RefLab-Podcast

Ausgeglaubt: ein RefLab-Podcast

Transkript

Zurück zur Episode

00:00:00: Hallo, herzlich willkommen bei "Ausgeglaubt" schön, dass du eingeschaltet hast.

00:00:22: Manu, wir sitzen uns wieder gegenüber, wieder am Sulgenauweg 26 in Bern in unserem

00:00:29: klein improvisierten Podcaststudio. Schön, dass du da bist.

00:00:33: Ja, ich freue mich auch auf dieses Gespräch, ich heiße Manuel Schmied, bin reformierter

00:00:38: Theologe und arbeite als Co-Liter bei RefLab. Liebe es über Fragen der Gegenwart und Gesellschaft

00:00:47: nachzudenken aus einer auch theologischen Perspektive und wir haben uns kurz vor dem

00:00:55: Wochenende gesehen. Und jetzt zu Beginn der neuen Woche gleich schon wieder, bist du mir

00:01:03: noch nicht überdrühstig? Nein, überhaupt nicht, ich habe mich sehr gefreut. Wir können das ja

00:01:08: ganz transparent machen, eigentlich nehmen wir ja jeweils am Montag auf für die Folge, die dann

00:01:13: am Mittwoch erscheint. Jetzt haben wir dieses Mal tatsächlich am Freitag aufgenommen für die

00:01:19: Mittwochs Folge und nehmen jetzt am Montag schon wieder auf für Mittwoch in einer Woche. Das ist

00:01:23: eine Ausnahme, aber es hat sich jetzt gerade super so ergeben und ich glaube, wir sind noch

00:01:28: total im Flow. Also wir haben aufgehört mit Aus geglaubt am Freitag und beginnen jetzt am

00:01:33: Montagmorgen gleich wieder mit Aus geglaubt. Genau, und haben eine Folge auf Reserve quasi und

00:01:39: deshalb werden auch unsere Kategorien des Halleluja und des Stoßgebäude diesmal ausfallen, weil wir

00:01:47: noch nicht mit genügend prophetischen Begabungen ausgestattet sind, um zu wissen, was wir nächste

00:01:54: Woche dann zu danken oder zu klagen haben werden. Ja genau, es war eigentlich so, dass wir in der

00:02:00: letzten Folge so ganz ein bisschen dieses Thema des spirituellen Missbrauchs angerissen haben. Und

00:02:07: dann hast du mal noch gesagt, ja aber hey, das wäre ein Thema der Woche. Dazu müssten wir jetzt

00:02:12: eigentlich was machen und das kommt mir natürlich sehr gelegen, weil wir ja eine ganze Tagung dazu

00:02:17: organisieren unter dem Titel "Grenzen des heiligen spiritueller Missbrauch und die Verantwortung

00:02:24: religiöser Autorität", die in Zürich stattfindet am 8. September, also direkt nach eurem Podcast

00:02:31: Festival geht es weiter mit einer Fachtagung in der Paulus Akademie. Ihr findet alle Informationen

00:02:38: dazu auf unserer Webseite, den Link findet ihr in den Show Notes. Aber das war natürlich so ein

00:02:43: Grund, sich mal wirklich vertiefter mit dem Thema spiritueller Missbrauch auseinanderzusetzen.

00:02:49: Manu, vielleicht so als allererste Frage, wann hast du den Begriff spiritueller Missbrauch zum

00:03:02: ersten Mal gehört? Ich glaube, das ist einige Jahre her, in dem das war als ein Buch, jetzt weiß ich

00:03:12: den Titel aber nicht mehr genau, ein Buch, die Runde gemacht hat, in dem da hieß es aber

00:03:17: geistlicher Missbrauch. Das war wahrscheinlich die Gottesvergiftung. Nein, es war ein anderes

00:03:23: Buch, ich glaube, von einem Autor, der hieß Kessler oder so und der hat ein Buch geschrieben,

00:03:29: sehr stark aus dem evangelikal-piatistischen Kontext, das sich eben mit geistlichem Missbrauch

00:03:38: beschäftigt hat und da wusste ich wirklich anfangs noch nicht, was ich davon halten soll bzw. was

00:03:44: der Begriff überhaupt markiert. Ich habe dann zuerst natürlich an sexuellen Missbrauch gedacht,

00:03:49: im Kontext der Kirche, aber das war es dann gar nicht. Es ging da wirklich auch in dem Buch schon

00:03:54: um Machtmissbrauch, darum, dass Menschen irgendwie in einer Weise von einer von einer

00:04:03: geistlichen Autoritätsperson manipuliert oder zu Dingen gebracht werden, die ihrem

00:04:11: Willen gar nicht entsprechen oder die ihre Freiheiten nicht achten oder ihr Gewissen nicht achten,

00:04:19: so der Kontext da ist mir das vor vielleicht zehn Jahren oder so zum ersten Mal begegnet.

00:04:25: Ah, schon, ja. Also für mich ist es, glaube ich, wenn ich richtig erinnere, eher etwas,

00:04:30: was so in den letzten zwei Jahren aufgekommen ist, den Begriff spiritueller Missbrauch so gehört

00:04:36: habe und zunächst habe ich den im Kontext der Anbahnung sexuellen Missbrauchs kennengelernt.

00:04:43: Ja. Also gab da diese Fälle, die durch die Medien gegangen sind. Zunächst, vor allem in der

00:04:50: katholischen Kirche, gab dann aber auch diesen Fall aus der reformierten Kirche, der Jahre zurückliegt,

00:04:56: der auch in TV und Radio gekommen ist. Und da war sehr eindrücklich zu sehen, wie spirituelle

00:05:05: Autorität, wie religiöse Autorität dafür eingesetzt und missbraucht wird, dann sexuelle

00:05:12: Übergriffe eigentlich vorzubereiten, einzubetten und zu legitimieren. Und in einem zweiten Schritt,

00:05:19: in der Vorbereitung der Tagung, aber auch in dieser Arbeitsgruppe, wo es um den Schutz der

00:05:26: persönlichen Integrität geht in der reformierten Kirche, habe ich dann auch gelernt, dass spiritueller

00:05:32: Missbrauch darüber hinaus aber auch eine ganz eigene Kategorie ist. Vielleicht fangen wir mal

00:05:37: damit an, du hast versucht eine Definition zu erarbeiten, was wir eigentlich meinen, wenn wir

00:05:43: über spirituellen Missbrauch sprechen. Ja, also man könnte zum Beispiel so formulieren und sagen,

00:05:51: spiritueller, geistlicher Missbrauch bezeichnet die Ausübung von Macht oder Autorität in einem

00:05:58: religiösen oder geistlichen Kontext auf eine solche Weise, die menschenselisch verletzt,

00:06:06: manipuliert oder in ihrer Freiheit einschränkt. Also da ist mitverpackt, dass es um ein Machtgefälle,

00:06:16: um ein Autoritätsgefälle geht zwischen geistlichen Würdenträgern, geistlichen Autoritätspersonen

00:06:24: und Menschen, die sich dieser Gruppe, dieser religiösen Gruppe oder dieser Religion, dieser

00:06:32: Gemeinschaft zugehörig fühlen. Und das ist offensichtlich, wie man jetzt immer stärker merkt,

00:06:38: es gibt eine zunehmende Zahl an Veröffentlichungen auch zu diesem Thema. Das ist ein Gefälle oder

00:06:47: eine Versuchsanordnung, die wirklich Missbrauchs gefährdet ist. Lass uns da vielleicht mal ein

00:06:55: bisschen konkreter werden. Also bringen wir so ein Beispiel, es könnte dort um spirituellen Missbrauch

00:07:02: gehen, wo ein Dorffahrer oder ein Priester in einem Dorf oder in einer sozialen gefestigten

00:07:10: Umgebung eine sehr wichtige zentrale Autoritätsperson ist, die durch ihre Persönlichkeit und das,

00:07:18: was die anderen hier zuschreiben, quasi zum Ausdruck bringt, dass diese Person sagen kann,

00:07:24: was gilt, was richtig ist, wie wichtig es ist, den Sonntags Gottesdienst zu besuchen. Dass man

00:07:29: zum Beispiel Sünden, die man begangen hat, dieser Person beichten muss, dass irgendwo im

00:07:35: Hintergrund ein Höllenfeuer droht, wenn man das nicht tut. Also da eine geistliche Macht bei

00:07:42: einer bestimmten Person liegt, die darüber entscheiden kann, welche Feste man feiern darf,

00:07:49: welche Anlässe man besuchen muss und was man dieser Person alles zu beichten und zu gestehen hat,

00:07:56: wenn man vielleicht schwach geworden ist, wenn man diese Ansprüche nicht erfüllen konnte.

00:08:01: Ja, genau. Und ich habe leider, muss ich sagen, ganz viele Erfahrungen gemacht oder Beispiele

00:08:08: gesammelt, mitgekriegt, die würde ich jetzt im Nachhinein sagen, in diese Kategorie fallen.

00:08:18: Und wenn ich jetzt in der Folge vielleicht ab und zu ein Geschichte oder ein Beispiel einspiele,

00:08:24: dann kommen die meiner kirchlichen Sozialisierung entsprechend eigentlich alle aus dem evangelikalen,

00:08:33: charismatisch-fingstlichen Raum, was aber nicht bedeutet und nicht suggerieren soll, dass es

00:08:40: geistlichen missbrauch, spirituellen missbrauchen, nur in diesen Kontexten geben kann. Das ist ja

00:08:46: immer ein bisschen eine Gefahr, wenn man dann aus einer, gerade aus einer volkskirchlich,

00:08:52: großkirchlich reformierten Perspektive über solche Dinge spricht, dass es dann immer die

00:08:57: anderen gewesen ist. Ja, genau. Und ich glaube, deswegen ist ganz wichtig sich zunächst mal zu

00:09:01: vergegenwärtigen, dass es auch bei spirituellem missbrauch um eine Art Autorität, Hierarchie,

00:09:06: etc. geht. Und es gibt diese Autorität in einem sprichwörtlich autoritären Sinn, also dass jemand

00:09:14: quasi Autorität des Amtes, quasi geistlicher Leitungsfunktion, die dieser Person zugeschrieben

00:09:20: wird oder einer besonderen Begabung, einer Berufung in diesen Stand kommt. Es gibt es aber natürlich

00:09:26: auch ganz anders, dass jemand eine sehr charismatische Person sein kann, die überall großes Ansehen

00:09:33: genießt, gerade dadurch, dass diese Person vielleicht mit ihrem Amt kokettiert, also gerade

00:09:39: nicht der typische Pfarrer ist, gerade nicht Pfarrherrliches, sondern ganz besonders volksnah,

00:09:45: ganz nahe bei den Menschen und einfach ein ganz guter beliebter Kerl, der dann aber auch wiederum

00:09:51: kaum angreifbar ist, über den man auch kaum kritische Fragen stellen kann. Also ich glaube,

00:09:57: da gibt es eine ganze Bandbreite von superautoritärem, katholischem Priester in einem Walliser

00:10:05: Dorf bis hin zum lustigen Jugendfahrer in einer Stadtgemeinde, die superliberal und

00:10:14: aufgeschlossen ist. Überall können solche Dinge passieren. Vielleicht ist das eine wichtige

00:10:19: erste Unterscheidung, die wir treffen können. Es geht bei spirituellem Missbrauch, geht es um

00:10:25: ein Machtgefälle, es geht um Autorität, aber es geht nicht notwendigerweise immer um formale,

00:10:32: hierarchische Machtgefälle, es gibt auch informelle Machtgefälle. Also es geht nicht immer nur darum,

00:10:40: dass jemand jetzt durch sogar in der Kirchenordnung festgeschriebene Alleinstellungsmerkmale der

00:10:48: Priester, der als einziger die Sakramente austeilen darf und dann die Beichte abnimmt und Menschen

00:10:54: sind dazu verpflichtet, sich ihm kompromisslos zu öffnen und ihre tiefsten Geheimnisse im

00:11:02: Weichtstuhl auszuplaudern. Das ist eine kirchlich-dekretierte Art des Machtgefälles, aber die Gefahr

00:11:11: geistlichen Missbrauchs gibt es nicht nur dort, wo eben Geistliche in der Hierarchie einfach weit

00:11:17: oben stehen, sondern es gibt auch diese informellen Machtgefälle, wo Leute eigentlich auch in ganz

00:11:23: gemeinschaftlich, persönlich, nahe, freundschaftlich angelegten Gemeinschaften eine charismatische

00:11:33: Ausstrahlung mitbringen, einen Magnetismus, eine informelle Art mitbringen, der sich Menschen

00:11:41: ein Stück weit freiwillig unterwerfen und die eben genauso missbrauchsanfällig ist.

00:11:50: Ja, und es gibt jetzt auch nicht eine bestimmte Religionsgemeinschaft, die da besonders anfällig

00:11:55: wäre. Alle Religionsgemeinschaften sind sehr anfällig, was dieses Thema betrifft. Wir haben

00:12:02: jetzt jüngst gerade Medienberichte gehabt über buddhistische Mönche, die wirklich sexuellen

00:12:09: Machtmissbrauch auch mit spiritueller Autorität durchgeführt haben. In der ganzen Religionsgeschichte

00:12:16: finden sich Zeckbeispiele, wo so was passiert. Wir haben aber gesagt, wir wollen uns heute

00:12:20: mal zunächst wirklich auch auf das christliche am spirituellen Machtmissbrauch konzentrieren

00:12:26: und da ist ja vielleicht wichtig zunächst mal festzustellen, dass es ja jetzt nicht einfach

00:12:31: ein Betriebsumfall, der da mal passieren kann, sondern das greift ja schon den christlichen

00:12:38: Glauben, das christliche Vertrauen in das Evangelium eigentlich im Kern an. Oder weil wir ja

00:12:46: eigentlich sagen würden, na ja, wir haben doch ein Evangelium, das Menschen frei machen soll,

00:12:52: das eine gute Botschaft sein soll, wir sprechen von einem heiligen Geist, der befähigt, der befreit

00:12:58: etc. Und die Kirche ist ja in unserer Lehre, in unserem Verständnis, davon nur etwas Sekundäres,

00:13:05: was daraus entsteht, also aus dem Evangelium und dem Wirken des Geistes. Und wenn jetzt darin

00:13:12: solche Machtstrukturen, solche Machtmissbrauch, passiert gerade mit dem Evangelium, gerade mit

00:13:18: dieser Hoffnung, gerade auch vielleicht mit der Inanspruchnahme der Autorität des heiligen

00:13:24: Geistes etc., dann greift das natürlich den Kern des christlichen Glaubens und Selbstverständnisses an.

00:13:30: Ja, ja, und ich glaube, wenn wir so einzumen auf dieses Phänomen geistlicher Missbrauch,

00:13:37: dann natürlich kann man sagen, es gibt Machtgefälle auch jenseits von Religion zu Hauf. Es gibt keine

00:13:46: Gesellschaft und kein Vereinswesen und kein Bildungswesen und gar nichts denkbar ohne Machtgefälle,

00:13:53: die immer die Gefahr bieten, dass sie auch missbraucht werden, dass da auch Abhängigkeitsverhältnisse

00:14:01: ausgenutzt werden. Da gibt es ja Beispiele zu Hauf aus Sportvereinen, Universitäten,

00:14:06: Schulen, You Name it, auch irgendwelche vor allem mit großer Begeisterung aufgeladene

00:14:13: Unternehmenskulturen, Start-ups gibt es, es gibt, es gibt keine Ahnung, es gibt, es kann auch aus

00:14:21: irgendwie aus Tupperware, Pyramidensystemen und Thermomix und weiß ich, was auch da gibt es,

00:14:28: können sich ganz toxische Verhältnisse entwickeln, die ermissbräuchlich werden, aber was du

00:14:35: jetzt vorhin angesprochen hast, ich glaube, da muss man sich bewusst werden, wenn wir von

00:14:40: geistigem oder spirituellem Missbrauch reden, was vielleicht, die den Fall im Bereich oder im

00:14:47: Raum von Religionen oder von im Raum des Glaubens besonders brisant macht, ist, dass man hier die

00:14:54: Möglichkeit hat, die eigene Vormachtstellung noch transzendent anzureichern, noch spirituell

00:15:03: anzureichern. Ja, das auch, aber ich würde noch weitergehen, ich würde aus der Perspektive der

00:15:09: Missbrauchten, würde ich sagen, ja, und die suchen gerade in dieser Gemeinschaft, in dieser

00:15:17: Religion, in dieser Struktur, ja, Befreiung, Erlösung, Freiheit, ein Zu-Sich-Selbstkommen,

00:15:24: etc., oder? Also das Versprechen in einem Tourenverein ist ja nicht, dass wir dich frei machen. Das

00:15:31: Versprechen ist nicht, dass wir dir inneren Frieden geben, sondern es ist eher, wir sind eine Gruppe,

00:15:37: wir haben einen Plan, wir werden dich besser machen im Gerätetouren, zum Beispiel. Und das ist

00:15:43: schlimm genug, wenn es da passiert, weil dann etwas, was dein Ziel ist, quasi umgelenkt wird in

00:15:49: etwas, was dir wirklich schadet. Aber im religiösen Bereich ist das natürlich noch mal viel

00:15:55: schrecklicher, weil es eigentlich das Gegenteil ist, die absolute Pervertierung von dem, was die

00:16:02: Person, die da Missbrauch erlebt, eigentlich gesucht hat. Ja, ja, und die im Englischen würde man

00:16:09: sagen, the stakes are much higher. Also es ist einfach viel mehr noch auf dem Spiel, weil es eben

00:16:16: nicht, wie du gesagt hast, es geht nicht einfach um irgendwie eine Weiterbildung oder um ein Produkt

00:16:21: oder um eine Freizeitbetätigung, sondern es geht um die fundamentalen existenziellen Fragen,

00:16:28: Menschen suchen, Orientierung in ihrem Leben, Menschen suchen, spirituelle Erfüllung suchen,

00:16:34: Gemeinschaft suchen, sogar einen Horizont der über dieses Leben hinausgeht. Und wenn in diesem

00:16:40: Kontext jetzt Macht missbraucht wird, dann greift das besonders tief und kann auch, und das zeigen

00:16:48: leider auch viele traurige Beispiele, kann auch besonders traumatisierend wirken und besonders

00:16:54: nachhaltig das Leben von Menschen wirklich aus dem Lot bringen. Und es gibt genügend traurige

00:17:01: Beispiele von Menschen, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg, psychologisch und in vieler

00:17:08: anderer Hinsicht daran sind, diese Geschichten aufzuarbeiten und sich da frei zu kämpfen. Also

00:17:15: man muss das ernst nehmen. Und lass uns vielleicht mal anfangen mit Beispielen für spirituellen

00:17:25: Missbrauch, die jetzt nicht unbedingt im Bereich eines vorbereiteten sexuellen Übergriffslied. Ja,

00:17:31: du selbst hast mir im Vorgespräch gesagt, ja da kenne ich einiges. Ja, bring mal vielleicht ein

00:17:38: Beispiel. Also ich kann aus verschiedenen Kontexten habe ich das immer wieder so mitgekriegt,

00:17:45: mindestens das massiv missbrauchsbegünstigende Dynamiken gepflegt oder gefördert wurden,

00:17:53: beispielsweise in finstlich-charismatischen Kreisen, in denen ich mich über Jahre hinweg

00:17:59: bewegt habe, gerade als Jugendlicher, da war ich auf einer Bibelschule, in der es wirklich

00:18:04: wild zu und her ging in Sachen finstlich-charismatische etwa. Da war ich irgendwie 19, 20, 21 so und da

00:18:13: war jetzt zum Beispiel das Thema prophetische Eindrücke, war ganz groß geschrieben. Also man

00:18:19: ging davon aus, dass Gott auch heute noch mitten ins Leben hineinspricht und Menschen auch sehr

00:18:25: konkrete Handlungsanweisungen und Entscheidungshilfen an die Hand gibt. Also in diesem Milieu hätte

00:18:33: niemand eine Entscheidung getroffen für eine Berufswahl oder für eine Partnerwahl ohne ins

00:18:40: Gebet zu gehen und die prophetische Weisung Gottes zu erbeten und irgendwie ein klares Wort,

00:18:47: einen klaren Eindruck zu erbeten, ist das der Weg, den ich einschlagen soll, ist das der Partner,

00:18:54: den ich heiraten soll und bis hin zu, also die alltäglichsten Dinge, also bis hin zur

00:19:00: Destination der nächsten Ferien des nächsten Urlaubs, bis hin zu den kleinsten Entscheidungen

00:19:06: wurde diese direkte unmittelbare Hilfe Gottes in Anspruch genommen und dann, was eben vielleicht

00:19:14: noch problematischer war, daran schon das kann eigentlich zu einem unglaublichen neurotischen

00:19:19: Lebensstil führen, indem man sich selbst keine einzige eigenständige selbstbestimmte Entscheidung

00:19:25: mehr zutraut, sondern das Gefühl hat Gott muss quasi mir morgens sogar sagen, welche Schuhe ich

00:19:30: jetzt anziehen soll. Das ist ja auch irgendwo pathologisch, aber ganz problematisch wurde es da,

00:19:36: wo man eben damit gerechnet hat, dass es Menschen gibt, die in besonderer Weise begrabt sind,

00:19:42: Gottes Stimme zu hören und Gottes Willen zu ergründen, auch für andere Menschen und da hat

00:19:50: man dann von prophetisch begabten Personen sogar wirklich von Propheten und Prophetinnen gesprochen.

00:19:55: Also ich war in, auch schon vor dieser Bibelschulerfahrung, mehrere Jahre in einer sehr karismatischen

00:20:02: Gemeinde, in der regelmäßig Gasträner und Gastränerinnen zu Besuch waren, die wurden vorgestellt,

00:20:10: das ist der Prophet so und so, das ist die Prophetin so und so. Und dann war immer klar, die hält

00:20:15: zuerst eine kurze Predigt so oder auch länger, kann auch eine Stunde gehen und dann, aber was die

00:20:22: Leute wirklich wollten und wofür man wirklich quasi gekommen ist, war dann der Ministry-Teil danach.

00:20:27: Dann hat die Person dann manchmal begleitet durch Pianomusik wie auch immer, ist dann in

00:20:34: sich gegangen und hat dann quasi diese Connection zum Himmel hergestellt und hat prophetische

00:20:40: Eindrücke weitergegeben über Personen, die im Raum sind. Und das konnte sich über, über lange

00:20:46: Zeit, also eine halbe Stunde, Stunde noch länger erstrecken, dass dann ganz konkret, dann wurde

00:20:52: gesagt, hier im Raum ist eine Person, die hat letzte Woche an der Busstation eine Begegnung

00:21:02: gehabt oder es ist eine Person, die hat dunkelbraune Haare und Violetten, Lippenstift und die trägt

00:21:10: ein, ein rotes T-Shirt und so. Und dann natürlich je offensichtlicher es war, dass diese Person

00:21:18: dann wirklich im Raum war oder je, je klarer sie geben, die direkt zu dir um. Dann, dann, dann war

00:21:24: das ganz, das hat dann natürlich die, den Status dieser Person, dieser prophetisch begabten Person

00:21:30: legitimiert und erhöht und dann sind auch ganz, ganz klare Anweisungen gekommen. Also dann gießt es

00:21:38: dann wirklich, dass so du, du kämpfst im Moment mit einer beruflichen Entscheidung und ich sage,

00:21:45: Gott, Gott sagt zu dir, tu das oder tu das. Oder also da wurde wirklich sehr, sehr konkret,

00:21:51: wurde ins Leben von Menschen hineingesprochen und die, ich sage mal, die Aufladung dieser

00:21:57: Situation hat dann in vielen Fällen fast keinen Widerspruch mehr geduldet. Weißt du? Ich hab,

00:22:03: ich hab tatsächlich mal ein Gottesdienst erlebt, der in eine ganz ähnliche Richtung geht, wie das,

00:22:08: was du jetzt erzählst. Muss ich vielleicht kurz kennen? Vielleicht kennst du das auch. War damals,

00:22:12: gerade so beim Studienbeginn, habe ich einen Nebenjob gehabt und der bestand drin, dass ich so

00:22:17: Umfragen für Marktforschungsinstitutze gemacht habe und da muss ich wirklich von Haus zu Haus zu

00:22:23: also so Postleitzahlen abklappern und Leute befragen. Und bei einer Befragung wurde ich dann

00:22:29: eingeladen in ein Heiligeist Gottesdienst nach Basel. Das war so im Kundeli-Wart hier so, ja,

00:22:37: weiß gar nicht mehr ganz genau, wo das jetzt war, aber das war auf jeden Fall im hinteren Teil des

00:22:43: Grundes schon fast, wenn du zum St. Jakobspark runtergehst, in so einem Gewerbegebäude eigentlich,

00:22:48: ja. Und da war ich eingeladen und das war für mich absolut lebendiger, aber auch verwirrender

00:22:56: Gottesdienst, der drin bestand, dass ein Typ, der dann wirklich nicht sehr gut übersetzt worden ist,

00:23:03: also englischsprachig, kam da noch vorne und hat zunächst mal Geschichten erzählt, was er in seiner

00:23:08: Community erlebt hat, wie Fahrräder gestohlen wurden und dann mit der Autorität Gottes wurden

00:23:14: diese Fahrräder von den Dieben selbst wieder zurückgebracht und alle solche Geschichten. Und

00:23:19: dann kam aber auch solche Aufrufe, also Menschen mit Rückenleiden, Menschen, die daß und daß

00:23:25: und so. Und dann kam so was Menschen, die ihr Herz gegen Gott verhärtet haben und sich weigern

00:23:32: quasi zu Ben Tarnis oder so, und dann zeigt er auf mich. Und ich glaube, das hatte damit zu tun,

00:23:40: dass ich wahrscheinlich eher, weißt du, so in der Beobachter-Mentalität da war. Also ich bin da

00:23:45: nicht so ganz mitgegangen und dann wurde ich damit anderen gebeten, nach vorne zu kommen und ich weiß

00:23:52: nicht genau, was das war, aber der hat so mir die Hand hier an die, so zwischen Backe und Hals

00:23:58: gehalten und alle vor mir, das sind da umgekippt, als er das gemacht hat. Und ich bin natürlich nicht

00:24:04: umgekippt, also ich habe einfach weitergeatmet und dann hatte mir wirklich gesagt, dass ich mein

00:24:09: Widerstand aufgeben müsse. Ich sei sehr stark, aber ich müsse mein Widerstand aufgeben. Und

00:24:14: habe ich mir wirklich überlegt, wenn ich jetzt nicht in einem Weltbild gewesen wäre, wo ich als

00:24:20: Beobachter an diesem Gottesdienst teilgenommen hätte, dann hätte ich mich vielleicht in der Folge

00:24:25: immer gefragt, oh, habe ich irgendwie einen Widerstand gegen Gott, das Böse, was ich tue,

00:24:30: lebe ich quasi permanent in Sünde, müsste ich mich irgendwie ergeben, weißt du so, diese ganzen

00:24:36: Dinge. Und das war jetzt nicht mal etwas, was lange gedauert hat oder wo ich sagen würde,

00:24:41: das war traumatisch oder so. Aber ich glaube, das ist schon eine sehr krasse Form von religiöser

00:24:49: Autorität, dass jemand das über dich sagt. Also jetzt nicht nach einem Seelsorgegespräch oder so,

00:24:54: sondern wirklich einfach so on the first site. Ja, ja. Und das ist, glaube ich, das ist halt vielleicht

00:25:01: auch die zugespitzte Form, die dann auch missbrauchsbegünstigend sein kann, wenn man, und das

00:25:08: hängt ja vom Prämissen ab. Also man muss ja zuerst mal einkaufen, dass Gott heute noch in

00:25:12: dieser konkreten Weise zu Menschen spricht. Und ich würde das sogar bis heute nicht ausschließen.

00:25:20: Und damals war ich davon felsenfest überzeugt, dass ist sogar der normale Modus, in dem Gott

00:25:25: quasi Menschen führt und lenkt und leitet, dass er direkt irgendwie in ihr Leben hineinspricht.

00:25:32: Das muss man ja einkaufen. Das gibt es ja zum Beispiel in vielen esoterischen Gemeinschaften,

00:25:37: gibt es ja genau dieselben Ideen oder Überzeugungen einfach anders gewendet, aber auch Horoskope und

00:25:45: spezielle Tarotkarten, die man sich legt und so, die dann ausgelegt werden bis hin zu

00:25:51: Wahrsagerei, da müssen ja Leute hingehen, die irgendwie die Prämisse einkaufen. Wenn du das

00:25:57: aber eingekauft hast oder wenn du grundsätzlich denkst, ja, das gibt es, das kann es geben,

00:26:01: dann bist du natürlich wahnsinnig anfällig darauf, wenn jemand dann so in dein Leben hineinspricht,

00:26:07: angereichert mit diesem göttlichen Offenbarungsanspruch, dass du denkst, ja scheiße, wenn ich mich

00:26:13: dem jetzt widersetze, widersetze ich mich eigentlich dem Universum, dem Willen Gottes selbst, dem Plan

00:26:19: Gottes für mein Leben und da muss man, glaube ich, also in solchen Gemeinschaften, denke ich,

00:26:26: müsste man sehr, sehr viel vorsichtiger sein oder sehr, sehr viel mehr sensibilisieren für die

00:26:34: Fallstricke und das Missbrauchspotenzial, das mit solchen Interventionen ins Leben von Menschen

00:26:42: einhergeht. Wenn wir jetzt gerade schon bei diesem Fall der charismatischen Autorität,

00:26:48: würde ich dem jetzt vielleicht sagen, oder? Also so spiritueller Machtmissbrauch oder

00:26:52: Missbrauchsanfälligkeit durch charismatische Autorität, würde ich sagen, da gehören ja

00:26:56: schon auch diese ganzen Heilungswunder in einer gewissen Weise dazu. Hast du damit auch Erfahrungen

00:27:05: gemacht? Also habt ihr zum Beispiel in deiner Ausbildung oder in der Gemeinde, wo du warst,

00:27:09: dafür gebetet, dass jemand gesund wird und wie ist man damit umgegangen, wenn das nicht geklappt hat?

00:27:15: Weil sterben ja auch in charismatischen Gemeinden Menschen oder werden krank?

00:27:19: Habe ich mir sagen lassen, ja. Also ich habe das oft erlebt, als eben als Jugendlicher in

00:27:26: Veranstaltungen, dass für Menschen gebetet wurde und dass auch in aller Öffentlichkeit Leute nach

00:27:33: vorne geholt wurden, die unter verschiedenen Leiden gelitten haben, verschiedene Schmerzen,

00:27:39: Diagnosen und so weiter hatten und dann wurde mehr oder weniger aufdringlich für diese Menschen

00:27:44: gebetet. Ich habe das auch schon ganz aus sehr, ich finde, authentisch und glaubwürdig und auch

00:27:50: schön erlebt. Teilweise auch ganz erstaunlich, also dass Menschen tatsächlich gesagt haben,

00:27:55: ihre Schmerzen hätten, würden gelindert oder wären sogar verflogen in einem Augenblick und so. Also

00:28:02: ich habe da ganz verschiedene Erfahrungen gemacht, aber auch Erfahrungen, die sehr, sehr druckvoll waren,

00:28:10: in denen ein unglaublicher Erwartungsdruck, auch eine Heilungserwartung aufgebaut wurde,

00:28:16: die Menschen fast schon genötigt hat, jetzt zuzugestehen, dass es besser ist mit ihnen,

00:28:21: damit sie von dieser Bühne wieder runterkommen und aus diesem Scheinwerferlicht wieder heraustreten

00:28:28: können. Also ich habe da ambivalente Erfahrungen gemacht und würde sagen, das ist natürlich auch

00:28:36: ein Feld, in dem geistlicher Missbrauch passieren kann, gerade wenn man Menschen mit Krankheiten

00:28:44: und Leiden ein verbindliches Narrativ gibt, warum sie an dieser Krankheit leiden und wie sie davon

00:28:52: wieder frei werden. Also wenn da keine Offenheit herrscht, sondern wenn dann entweder Krankheiten

00:28:58: demonisiert werden, dass man sagt, ja du hast diesen Geist der Rebellion in dich oder du hast

00:29:04: diesen Geist, der was auch immer da dann kam, von aus deiner Vergangenheit hast du noch irgendwie

00:29:11: occulte Belastungen oder so und die sind der Grund für deine Krankheit und die muss man zuerst

00:29:17: brechen, um frei zu werden, um gesund zu werden. Also überall, wo diese Geschichten, diese Narrative

00:29:24: dann ganz verengt werden und Leute gar keine Möglichkeit mehr haben, ihre Krankheit anders

00:29:31: zu verstehen, geschweige denn sich vielleicht auszusöhnen mit einer Krankheit, die einfach paar

00:29:37: zu auch nach vielen Gebeten nicht weggehen will. Weil da bleibt ja dann immer irgendwie dieser

00:29:42: Verdacht, ich bin ich krank aufgrund einer noch verborgenen Sünde oder aufgrund einer

00:29:49: occulten Belastung, die noch nicht erfolgreich gebrochen wurde und so weiter. Das ist ganz

00:29:54: interessant was du jetzt ansprichst, ich glaube das könnte man auch in diesem Bereich der karismatischen

00:29:58: Autorität hineinsenden. Ich habe das erlebt, dass ich auf dem Gymnasium war, gab es eine Bibelgruppe

00:30:04: und ich habe mich dieser Bibelgruppe nie angeschlossen, aber ich kannte ein paar Leute und da war

00:30:10: das immer wieder ein Thema, dass es sowas gibt wie eine Generationenschuld, von der man frei

00:30:15: werden muss. Kannst du dazu auch was sagen? Kennst du das Konzept? Ja, also die Idee ist natürlich

00:30:20: zurückgehend auf alttestamentliche Prophetenworte, dass es eben Schuld gibt, die der Herr über

00:30:29: Generationen hinweg synt oder verfolgt und dass man dann auch, wogegen es ja übrigens großen

00:30:37: innerbibischen Widerspruch gibt, oder? Ja, es gibt ja dann auch, euch wurde gesagt, dass irgendwie die

00:30:45: Zähne der Kinder sauer werden von den Trauben, die die Alten gegessen haben, das stimmt jetzt

00:30:50: aber nicht mehr, quasi das ist getilgt oder dann die Paradebeispiel als Jesus gefragt wird, ist der

00:30:59: krank wegen seiner eigenen Sünde oder wegen der Sünde seiner Vorfahren und dann sagt er ja

00:31:04: weder noch, der Mensch ist, so wie er ist hier, damit Gott an ihm Großes tun kann, oder?

00:31:11: Eigentlich dann schon innerbiblische Widersprüche gegen dieses Konzept, aber sorry.

00:31:16: Ja, also das sind natürlich so ... Theodizäversuche innerhalb der Bibel, dass man einerseits nach

00:31:23: dem Prinzip von Saat und Ernte sagt, wenn du etwas falsch gemacht hast, wenn du dich

00:31:27: verschuldigt hast, kommt das auf dich und dein Leid ist eigentlich ein Resultat deiner

00:31:32: eigenen Zünde.

00:31:33: Und dann wurde das ausgeweitet, übergenerativ.

00:31:35: So ein grausamer Karma gedeigen.

00:31:37: Genau, genau.

00:31:38: Dann wurde dann auch ausgeweitet auf mehrere Generationen, dass man gesagt hat, durchaus

00:31:42: unter Berufung auch auf profeten Worte gesagt hat, ja, das muss nicht deine Sünde sein,

00:31:47: das kann auch die Sünde deines Großvaters sein.

00:31:50: Deshalb gibt es interessanterweise, gibt es in charismatischen Kreisen teilweise, gibt

00:31:55: es eine richtige Vergangenheitsforschung, wo Leute quasi versuchen herauszufinden, ob

00:32:00: ihr Großvater oder ihre Großmutter einmal in okkulte Machenschaften verstrickt war oder

00:32:06: bei den Freimaurern war oder bei in irgendeinem Geheimbund, in dem man okkulte Rituale vollzogen

00:32:13: hat, weil man überzeugt war, das kann sich bis in mein Leben negativ auswirken und es

00:32:21: könnte sein, dass die ganzen Probleme, die ich habe oder auch die Krankheiten, die ich

00:32:25: mit mir herumschleppe, eigentlich auf diese Praktiken oder Fehltritte von Vorfahren zurückgehen.

00:32:32: Das ist an sich schon natürlich eine ganz, ganz schwierige Voraussetzung und wenn dann

00:32:39: Leuten noch das Recht oder die Autorität eingeräumt wird, genau diese Verbindungen

00:32:45: aufzuzeigen, dann hat man sich natürlich in massiver Abhängigkeiten begeben.

00:32:51: Ja, und ich glaube, das leuchtet auch total ein und ich nehme jetzt mal an, du und ich,

00:32:56: aber auch viele unserer Hörerinnen und Hörer würden jetzt sagen, ja, ja, das sind jetzt

00:33:00: die durchgeknallten Rismatiker, aber damit haben wir nichts mehr oder nichts zu tun,

00:33:07: bei uns ist das anders.

00:33:08: Lass uns mal vielleicht von da aus noch einen Schritt weitergehen zu anderen Formen von

00:33:14: religiöser Autorität, die missbrauchsanfällig sind.

00:33:18: Ja, also und ich finde, man kann auch an dem Anschließen, was ich jetzt gesagt habe, natürlich

00:33:25: bewegt es sich nicht auf derselben Flughöhe, natürlich ist es ein Unterschied, ob jemand

00:33:29: kommt und sagt, Gott hat zu mir gesprochen und mir gesagt, du sollst diesen und diesen

00:33:35: Beruf wählen, du sollst diesen und diesen Partner heiraten und so weiter, das ist was

00:33:40: anderes, als wenn jemand einfach einen Rat gibt von sich aus, aber es gibt doch auch

00:33:48: in ganz nicht charismatischen und nicht fängstlich aufgeladenen Gemeinschaften und ich würde

00:33:54: sagen, auch in katholischen und reformierten Kirchen gibt es doch menschengeistliche Würdeträger,

00:34:01: denen ein enorm großes Vertrauen entgegen gebracht wird, vielleicht, weil Menschen

00:34:06: über Jahre hinweg die Predigten dieser Person gehört haben und sie und ihr, diese Person

00:34:14: als vertrauenswürdig einstufen, das Gefühl haben, das ist jemand, der jetzt irgendwo,

00:34:21: weil jetzt irgendwo eine Orientierung bringen kann, die ich selber in meinem Leben nicht

00:34:28: finde und die dann den Rat dieser Person seelsorgerlich suchen und auch wenn diese Person nicht sagt,

00:34:34: so spricht er her und ich hatte einen Traum und da habe ich dich gesehen Pipapo, sondern

00:34:40: auch wenn diese Person einfach versucht, Ratschlag und Orientierung zu geben, auch da kann es

00:34:48: sein, dass ein eigenartiges und missbrauchsanfälliges Gefälle in dieses Gespräch eintreten.

00:34:59: Ja, ja, das auf jeden Fall, das wollte ich gar nicht, aber ich glaube, man kann daran

00:35:04: den Unterschied sehr gut zeigen. Also man kann mit sehr wenig Theologie charismatische

00:35:09: Autorität aufbauen. Man kann nämlich einfach sagen, schau mal, Apostelgeschichte jetzt zum

00:35:13: Beispiel, da beauftragt Gott Menschen, die in das Leben anderer Menschen hineinsprechen,

00:35:20: die bevollmächtigt sind dazu. Das Einzige, was du jetzt glauben musst, ist, dass Gott

00:35:25: nicht aufgehört hat, das auch heute zu tun und als ein Beauftragter stehe ich jetzt vor

00:35:30: dir und sage dir, ich habe den Eindruck, dass. Und das kommst du mit sehr wenig Theologie

00:35:37: zu sehr viel personaler Autorität, die du geistlich aufladen kannst. Jetzt das andere

00:35:43: Mittel, das sage ich gar nicht, dass das harmloser ist oder besser ist, läuft ja aber dann schon

00:35:49: etwas komplexer. Das wäre jetzt vielleicht, würde man so sagen, diese evangelikale Autorität,

00:35:54: die aufgebaut werden kann, die dann darin besteht, dass man ein Weltbild zunächst mal implementieren

00:36:01: muss. Also wir alle sind zünder, wir alle sind der Erlösung bedürftig, wir müssen unser

00:36:09: Leben Jesus übergeben und daraus folgt dann eine Heiligung, die folgendermaßen ausschaut.

00:36:17: Und wenn ich das jetzt so sage, dann ist das ja noch nicht mal irgendwie hardcoremäßig

00:36:21: unterschieden von einer klassischen reformierten Lehre, die es auch gibt, oder? Aber ich glaube,

00:36:29: das, was jetzt dort als spiritueller Missbrauch so anfällig macht, ist, dass das Innen und

00:36:35: Außen, dass das richtig und falsch so klar definiert werden kann, dass zum Beispiel auch

00:36:41: jemand, der in einer missbräuchlichen Beziehung lebt, diese Ehe fast nicht auflösen kann,

00:36:47: solange er zu dieser Gemeinde gehört. Also auch, wenn die Partnerin jetzt eine schwere

00:36:53: Suchterkrankung hat zum Beispiel, wenn der Partner ein gewalttätiger Sadist ist, kann

00:37:00: man diese Beziehung fast nicht auflösen, weil es ist ja ein Ehebund, der da gestiftet

00:37:06: wurde, der von Gott kommt und nicht von den Menschen etc. pp. Oder man wächst auf in

00:37:12: einer Community, in der Sex vor der Ehe und Sexualität vor der Ehe tabuisiert wird,

00:37:18: heiratet dann mit 20 und findet sich in einem riesigen Chaos wieder, den man sich vorher

00:37:24: gedanklich nicht gestellt hat. All das, würde ich sagen, sind auch Formen, spirituellen

00:37:28: Missbrauch. Ja, sehe ich auch, dass hier wirklich die Gefahr besteht, auch jenseits, meinst

00:37:39: jetzt, auch jenseits dieser steilen prophetischen Ansprüche, die dann gestellt werden.

00:37:45: Ja, ich meine mehr die Ansprüche, weißt du, die dann so über eine Gruppendynamik kommen.

00:37:49: Also zum Beispiel, du kannst aber nicht Jugendarbeiterin sein bei uns, wenn du mit deinem Freund

00:37:54: zusammen wohnst. Und das führt ja dann über diese Autorität, die ausgehört wird zu ganz

00:38:00: bestimmten Formen, wie Menschen sich binden, wann sie heiraten, welche Ideen sie haben

00:38:05: über Beziehungen, was sie denken über gleichgeschlechtliche Liebe etc. oder das, und da glaube ich,

00:38:12: funktioniert es dann weniger jetzt nur über die Autorität einer einzelnen Person, die

00:38:19: dann kommt und in einer prophetischen Beauftragung etwas spricht, sondern da funktioniert es

00:38:25: über ein Weltbild, das ziemlich konsistent von einer ganzen Gruppe geteilt oder nicht

00:38:31: mal geteilt, sondern quasi als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

00:38:35: Ja, ja, und ich glaube, da liegen Gefahren, dass Individualitäten irgendwie überblendet

00:38:44: werden, dass dann der Systemdruck, der theologisch-dogmatische Systemdruck eigentlich Oberhand gewinnt

00:38:50: und sich nicht trauen zu sich selbst zu stehen und ihren eigenen Gefühlen zu trauen und

00:38:57: ihren eigenen Zweifeln Raum zu geben, weil eigentlich schon klar ist, was richtig ist

00:39:04: und wie ein gelungenes Leben aussehen müsste. Ich sehe das schon. Ich wollte vorhin einfach

00:39:09: deutlich machen, dass es die Gefahr von Hörigkeit, sage ich jetzt mal, Hörigkeit von Gläubigen

00:39:20: gegenüber geistlichen Autoritätspersonen, dass die nicht nur dort besteht, wo Menschen

00:39:26: im Namen Gottes sagen, so spricht der Herr, sondern dass es auch in einem ganz landeskirchlich

00:39:33: reformierten Verhältnis sein kann, dass Menschen auch, es hat ja oft beide Seiten, dass Menschen

00:39:43: auch vielleicht eine Orientierungsleistung von der Pfarrperson oder vom Seelsorger,

00:39:49: der Seelsorgerin erwarten, die diese vielleicht gar nicht geben sollten oder geben können.

00:39:55: Also ich habe das in seelsorgerlichen Settings immer wieder erlebt. Ich würde jetzt mal sagen

00:40:00: zu dieser Auftritt als Profet, der jetzt den Willen des Herrn verkündet, das war mir immer

00:40:07: enorm fremd. Also das hat mir selbst in den charismatischen Zeiten, hat mir das nie wirklich

00:40:13: entsprochen. Aber das Leute, die vielleicht jahrelang einem aus dem Gottesdienst und Predigten

00:40:21: und Begegnungen kennen, bei mir Rat suchen und eigentlich in Entscheidungen gerne hätten,

00:40:28: ich würde ihnen diese Entscheidung abnehmen und da dann irgendwie einen guten Weg zu finden

00:40:34: zwischen "ich lass die einfach im Regen stehen" oder so dieses, was ich teilweise in psychologischer

00:40:41: oder psychiatrischen Settings auch erlebt habe, wo so reflexartig der Ball immer zurückgespielt

00:40:47: wird, ja was denken Sie denn? Was würden Sie denn entscheiden? Ja ich will das ja jetzt

00:40:52: mit Ihnen durchsprechen, weil ich denke, dass Sie vielleicht besser den Überblick behalten

00:40:57: über dem Chaos, dass Sie sich jetzt vor mir ausbreitet und so und dann, ich habe das auch

00:41:02: schon in persönlichen, also wenn ich der Hilfe suchende war, habe ich das als sehr mühsam

00:41:08: erlebt, wenn jemand jede Art von Hilfestellung und Orientierung verweigert. Also da will

00:41:14: ich nicht hin, aber ich will auch nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis als Seelsorger

00:41:20: in dem Menschen nachher von mir und meiner Weisung abhängig sind, um irgendwie Entscheidungen

00:41:26: selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Also das und das, ich fand das oft nicht einfach.

00:41:32: Und da darf ich sagen, dass es jetzt etwas, was typisch Landeskirchlich ist. Nein, ich

00:41:36: würde einfach sagen, dass die Gefahr, dass Menschen zu einer geistigen Autoritätsperson

00:41:46: kommen und von ihr eine Art von Orientierung und Weisung im Leben erhoffen oder erwarten,

00:41:54: die eigentlich höchst missbrauchsanfällig ist. Diese Gefahr besteht nicht nur in Charismatischen

00:42:03: Opfinschen oder Evangelikangemeinden, sondern auch in ganz Norma und auch nicht nur beim

00:42:09: Beichtvater, wo quasi der katholische Priester mit besonderen Bayern ausgestattet ist, sondern

00:42:15: auch in reformierten Kreisen kann es da kommen. Das verstehe ich gut. Ich versuche mal ein

00:42:19: bisschen zu systematisieren und präsentiere dir mal eine These und bin gespannt, wie du

00:42:23: das aufnimmst. Ich würde sagen, das, was das evangelikale Modell davon ist, von dieser

00:42:30: Art religiöser Autorität, läuft sehr stark über drinnen und draußen, über eine Gruppendynamik,

00:42:39: die sehr klar weiß, wer dazu gehört und wer nicht mehr dazu gehören darf, wenn er oder

00:42:47: sie dieses oder jenes tut. Also Beispiel für das evangelikale Modell wäre dann, wenn

00:42:55: Karl-Lenz fremd geht, dann ist Karl-Lenz nicht mehr Teil der Gemeinde. Dann muss er ausgestoßen

00:43:01: werden mit seiner ganzen Familie und allem drum und dran. Die Geschichte von Hilsson. Genau,

00:43:06: dass das drinnen und draußen, was dort so entscheidend ist über die Gruppe. Und ich glaube,

00:43:11: dass das etwas ist, was wir im 19. und auch 20. Jahrhundert auch in ganz vielen, ganz normalen

00:43:18: reformierten und katholischen Kirchgemeinden hatten. Aber ich glaube, dass das dort stärker

00:43:23: fortlebt. Dann würde ich davon aber nochmal unterscheiden, dass katholische Modell da sehr

00:43:29: viel stärker, und da ist vielleicht eine Art Verbindung zwischen diesem evangelikalen

00:43:34: und dem charismatischen von einem Anspruch des Mysteriums lebt. Oder nur der Priester

00:43:41: kann die Wandelung vollziehen. Der Priester hat eine bestimmte Autorität, die er quasi

00:43:47: Akrament, quasi Beauftragung erhalten hat. Und deswegen zähle ich den mal von vornherein

00:43:55: nicht zu den möglichen Fehlbaren. Sondern der kann gar nicht fehlbar sein, weil der ist

00:44:01: ja von Gott selbst beauftragt, diesen Kirchenschatz zu verwalten. Das, was das Richtige ist,

00:44:07: in der Welt zu vertreten, der kann ja sogar die Eucharistie organisieren, quasi, wenn

00:44:12: man so will. Also das allerheiligste. Das ist eine Art priesterliche Autorität, würde

00:44:18: ich sagen, die, die da kommt. Und das hat ja wirklich dazu geführt, dass auch Kinder

00:44:23: und Jugendliche, die gesagt haben, dieser Priester hat mich missbraucht, dieser Priester

00:44:27: hat etwas getan, was nicht okay war. Ich möchte da nicht mehr hin, einfach geoffigt wurden

00:44:32: und man, man gesagt hat, ah, was sagst du da? Ja, ja. Und ich, ich glaube, das ist eine

00:44:39: schreckliche Verquickung von diesem charismatischen, mystischen Teil, den wir im ersten Teil besprochen

00:44:48: hatten, mit diesem Weltbildteil, den es im Evangelikalismus gibt. Und was ich, was ich

00:44:53: ganz berührend finde ist, und ich, ich nehme ihm das aber ab, deswegen finde ich es berührend,

00:44:58: Ratzinge hat wirklich als Theologe da eine ganz, ganz schwere Glaubensanfechtung gehabt,

00:45:07: aufgrund dieser Missbrauchskandale, die hochgekommen sind, weil, weil das für ihn wirklich ein theologisches

00:45:14: Rätsel war, wie kann das sein, dass jemand, der als Priester geweiht ist, sowas tut. Und

00:45:21: jetzt kann man natürlich das Ganze auch böse lesen und sagen, ja, ja, der war eh betriebsblind

00:45:26: und deswegen haben die so viel nicht auch. Aber ich glaube tatsächlich, dass das für

00:45:30: ihn in seinem theologischen Weltbild fast nicht erklärbar war, wie das passieren kann,

00:45:34: weil die sind doch geweihte Priester. Was sagt das jetzt eigentlich über das Sakrament

00:45:39: der Priesterweia aus, etc. Und jetzt komme ich aber zum, zum reformierten, zum evangelisch

00:45:44: reformierten Modell, wo ich auch glaube, das Missbrauchsanfällig ist, das ist so quasi

00:45:49: dieses Liberale, das ein bisschen damit kockiert, dass man die Autorität des Fahrers gerade

00:45:58: nicht mehr in Anspruch nimmt. Wir sind ja alle auf Augenhöhe, oder? Und dort glaube ich,

00:46:04: dass es gerade so gesellschaftlichen Wandel, wo es um sexuelle Selbstbestimmung, Befreiung,

00:46:11: etc. ging, ganz oft auch zu Projektion gekommen ist, wo, wo, wo dann Fahrer gesagt hat, ah,

00:46:18: du bist so verklemmend, ich muss dich befreien, quasi schon fast so eine Art, 68er Befreiungsdienst.

00:46:25: Jetzt in einem ganz anderen Sinn. Und das ist ja zum Beispiel auch die Geschichte, die

00:46:29: Hannah Götter erzählt hat gegenüber SRF, oder, dass die zu einem Fahrer ist und der

00:46:34: gesagt hat, ja du bist so verklemmend, du musst dich da mal locker machen und so. Und das

00:46:38: ist auch eine Art Autorität, weil man ja eigentlich erwartet, hey, ich bin hier in einem geschützten

00:46:44: seelsorgerlichen Verhältnis und dieser Seelsorger konterkariert eigentlich diese Erwartungen

00:46:52: gerade damit, dass er sich vordergründig als superfrei und superliberal gibt, aber eigentlich

00:46:59: einfach einen Menschen missbraucht, der denkt, sich dort in einen Schutzraum begeben zu

00:47:04: haben. Ja, ja. Also quasi, wenn man es jetzt so zusammennimmt, kann man sagen, das charismatische

00:47:10: Modell wäre so dieses Undurchsichtige, woher kommt die Autorität, aber sie bindet sich

00:47:16: an jemandem. Das Evangelikale wäre das starke Weltbild, das Gruppen organisiert mit drinnen

00:47:21: und draußen. Das Priesterliche wäre diese Verbindung der charismatischen Autorität mit

00:47:26: dem drinnen und draußen. Und dort, wo das evangelisch reformierte Anfällig wäre, wäre

00:47:31: er eigentlich im ironischen Distanz nehmen, darauf dann wieder eine Art persönliches

00:47:38: Charisma und Leadership aufbauen, ohne dass man noch korrigiert werden kann durch die

00:47:44: Bibel oder durch ein prophetisches Wort. Ja, ja. Also, ich kann damit viel anfangen. Man

00:47:50: könnte das umlegen direkt auf verschiedene Skandale, die in Bildungswesen die letzten

00:47:57: Jahre in die Schlagzeilen gekommen sind. Also, Odenwaldschule. Genau, Odenwaldschule

00:48:02: wäre so das Beispiel eines sehr freiheitlichen und anti-irakischen Konzeptes, das aber genauso

00:48:11: zu Grenzüberschreitungen führt und auch eine ungebührliche Nähe aufbaut zwischen Lehrern

00:48:19: und Schülern. Und das ist auch eben missbrauchsanfällig und nicht nur, ich sage jetzt mal, das

00:48:26: katholische Internat oder die Lederach unterstützte Schule, die da Furore gemacht hat oder irgendeine

00:48:33: charismatischen Jugendarbeit. Also, es gibt unterschiedlichste Settings, in denen geistlicher

00:48:40: Missbrauch passieren kann und Menschen mit geistlicher Autorität eigentlich in einer

00:48:49: Art und Weise Einfluss nehmen auf andere Menschen, auf Leute, die auf Schutz befohlen

00:48:55: und Leute, die ihnen einen Vorschussvertrauen entgegenbringen, wo man sagen muss, das darf

00:49:02: eigentlich nicht sein. Nur, was tut man jetzt dagegen? Ja, oder ich glaube, man könnte

00:49:07: jetzt sagen, okay, wir haben in allen Spielarten christliche Religion, haben wir Möglichkeiten

00:49:15: für Narzisten, für Sadisten, für Triebtäter, da irgendwie auf ihre Kosten zu kommen, wenn

00:49:23: das jetzt muss sein. Und das, was jetzt die spannende Frage wäre ist, gibt es denn etwas

00:49:29: im Evangelium oder durch das Evangelium oder in der christlichen Tradition, was man dem

00:49:37: entgegenzusetzen hätte? Und ich glaube, das erste müsste man dahin bestehen, dass man

00:49:42: etwas demütig sagt, wenn es das gibt, dann hat es in der Kirchengeschichte nicht dazu

00:49:47: geführt, dass es gereicht hat. Sondern was wir brauchen, sind Schutzmechanismen, Recht,

00:49:55: wir brauchen klare Verfahren, wir brauchen eine Kultur, in der das ansprechbar wird, etc.

00:50:01: Also das, ich glaube, das sind so die Mindest Learnings, die jede dieser Gruppen einsehen

00:50:06: müsste und muss. Weil sonst wäre es besser, es gäbe sie nicht. Wenn sie nicht einsehen,

00:50:14: dass es so etwas braucht wie ein ziviles Recht, das ihnen übergeordnet ist und das auch

00:50:18: durchgesetzt werden muss, mit einer Kultur, die Menschen schützt, dann braucht es diese

00:50:23: Gemeinschaften nicht. Dann schaden sie mehr, als sie irgendwem nutzen.

00:50:27: Ja, ja. Also jetzt hast du es so im Schnelldurchlauf, vielleicht können wir das ein bisschen aufdrösen

00:50:32: einige Maßnahmen oder einige präventive Aspekte genannt. Das eine oder das Grundlegende

00:50:40: ist sicher diese juristische Dimension, dass klar wird und auch kommuniziert wird, dass

00:50:47: es hier nicht nur im Bereich der sexuellen Grenzüberschreitung, sondern auch sonst gibt

00:50:54: es justiziable Fälle der Verletzung der persönlichen Integrität des anderen und dass man deutlich

00:51:02: macht, hier steht keine Kirche und keine Religionsgemeinschaft über dem Gesetz. Das

00:51:07: ist quasi der Minimal. Standard ist, dass man sich an diese staatlichen, gesetzlichen

00:51:15: Regeln hält. Genau. Und darüber hinaus, oder um das überhaupt hinzukommen, braucht es,

00:51:26: es braucht auf verschiedenen Ebenen, braucht es beherzte Anläufe einerseits zu sensibilisieren,

00:51:34: also Menschen in Leitungsverantwortung, in kirchlichen Autoritätspositionen zu sensibilisieren,

00:51:42: dass es das überhaupt gibt. Das ist ja, wir haben das an verschiedenen Stellen, dass

00:51:46: mit Begriffen teilweise überhaupt erst die Anerkennung des Phänomens einhergeht. Also

00:51:54: dass man einen Begriff wie sexuellen, wie geistlichen, spirituellen Missbrauch, dass

00:51:59: man diese Begriffe prägt und erklärt und jenseits auch des justiziablen oder weil ganz,

00:52:06: ganz vieles, was da passiert, ist eben gerade nicht nur einfach einklartbar. Und ich glaube,

00:52:11: deswegen braucht es da eine Kulturveränderung und ich glaube, genau an der Stelle gibt es

00:52:17: aber auch theologische Ressourcen. Ich versuche mal so eine zu nennen, das wäre so die Unterscheidung

00:52:23: zwischen dem Bodenpersonal und Gott. Das ist etwas, was wir im Evangelium schon finden.

00:52:30: Also wenn Jesus gut genannt wird, dann sagt er, hey, keiner ist gut außer Gott im Himmel.

00:52:36: Also diese Unterscheidung, diesen Verweis auf Gott, der eben nicht einfach die Autorität

00:52:43: Gottes in Anspruch nimmt, also eben nicht einfach sagt, das sagt jetzt Gott der Herr,

00:52:47: sondern der in einer guten, sinnvollen Demut unterscheidet, das bin ich und das ist Gott.

00:52:56: Und wir stehen beide vor Gott und nicht du quasi über mich als Rölle-Station vor Gott.

00:53:03: Das wäre schon mal die erste, ganz wichtige Unterscheidung. Wir finden das dann auch bei

00:53:08: Paulus, natürlich in dem Paulus-Briefen, wo es auch nicht darum geht, dass er einfach

00:53:12: der allwissende Superprophet ist, sondern immer wieder sagt, ja, also dazu habe ich

00:53:18: kein Wort des Herrn und damit meint er ja sehr oft, da gibt es keine Torrauslegung, die einfach

00:53:23: klar wäre, sondern ich selbst sehe das so. Also das heißt, er nimmt nicht die Autorität

00:53:30: Gottes in Anspruch, sondern nimmt die Beauftragung in Anspruch, dass er als einer, der den Herrn

00:53:38: gerade nicht gesehen hat, die Gnade erfahren hat, auch an ihn glauben zu dürfen und von

00:53:44: dort aus wirkt. Also immer diese Unterscheidung zwischen Menschenwerk und Gottes Wahrheit

00:53:50: quasi. Ja, ja. Und ich glaube, die Sensibilisierung

00:53:54: dafür muss auf allen Seiten passieren. Also einerseits natürlich auf Seiten der Verantwortungsträger

00:54:01: in der Kirche, dass klar wird, dass diese Unterscheidung immer gewahrt bleibt, dass man auch in Kirchenleitender

00:54:10: Funktion zum Bodenpersonal Gottes gehört und nicht irgendwie in einer Vermittlungsposition

00:54:19: sich befindet zwischen normalen Menschen und dem Herrgott. Aber es braucht glaube ich

00:54:24: auch diese Sensibilisierung oder diese Aufklärungsarbeit auch unter Angehörigen von Kirchen, Untergläubigen,

00:54:33: dass man diesen gesunden Reflex einübt. Egal mit welchen Weihen du geweiht bist und

00:54:40: egal wie lange dein Talar und wie breit dein Beffchen ist und egal wie viele charismatische

00:54:47: Bewunderung du auf dich ziehst, wir gehören zusammen zum Bodenpersonal. Ja und das Bodenpersonal

00:54:53: ist in einem ganz, ganz, ganz weiten Abstand zu Gott und seiner Autorität oder das fände

00:54:58: ich auch ganz wichtig und es gibt keinen mystischen religiösen Zaubertrick, der garantiert, dass

00:55:04: jemand kein Arschloch ist. Ja, das ist auch wichtig. Und dann vielleicht so als zweites

00:55:10: und das klingt jetzt etwas langweilig und bürokratisch, aber das zeigt sich halt dann auch schon sehr

00:55:14: früh im neuen Testament. Wir brauchen so etwas wie Organisationsformen. Also es muss Verantwortung

00:55:21: geben in der Gemeinde, die aufgeteilt wird. Es gibt da sehr rasch so etwas wie Diakone,

00:55:27: wie Älteste, wie Prediger, wie Missionare, wie Menschen, die für andere beten, wo wir

00:55:32: heute vielleicht sagen könnten, Seelsorgerinnen, Seelsorger, die Menschen aufsuchen, all das

00:55:37: gibt es, aber die haben definierte Ämter und keiner regiert da einfach durch und macht

00:55:45: was er will, sondern die stehen selbst eigentlich in einem Verhältnis, in dem sie sich besten

00:55:51: Falls ergänzen, aber notwendigerweise auch immer als korrektiv gegenüberstehen. Also

00:55:57: die Ältesten lassen den charismatischen Prediger dann nicht einfach sein Ding machen, Hauptsache

00:56:03: die Leute kommen, sondern die fühlen sich verpflichtet einer Lehre, einem Geist, einer

00:56:08: Kultur, die sie als Älteste aufrecht erhalten. Und das glaube ich ist etwas, was heute immer

00:56:13: schwieriger wird, dass es überhaupt noch ein korrektiv gibt zu diesen religiösen Führungspersonen.

00:56:19: Einerseits weil sie vielleicht zu unwichtig geworden sind in gewissen Kontexten, andererseits

00:56:24: weil es die Stars sind, die man einfliegt und auf die jetzt alles gewartet.

00:56:29: Ja, ja und um das noch einmal auf den eher reformierten evangelischen Kontext umzulegen,

00:56:36: wo man ja sehr gerne auf diese ganz basisdemokratischen Strukturen verweist und auf die Gewaltenteilung

00:56:43: und die Kirchenpflege, die doch letztendlich das Zepter in der Hand hält und so weiter,

00:56:48: da auch noch einmal deutlich zu machen, die Gewaltenteilung und eine flache Hierarchie

00:56:55: und so weiter, basisdemokratische Prinzipien, stellen noch nicht sicher, können nicht

00:57:01: sicherstellen, dass es nicht doch Autoritätsgefälle gibt, die man auch als verantwortliche Person

00:57:08: reflektieren muss, denen man sich auch stellen muss, also diese Gleichmacherei im Sinne von

00:57:14: nee, ich bin als Pfarrerin oder als Pfarrer mit meinen ganzen Konfirmanten und mit meinen

00:57:20: Seelsorgeratssuchenden auf einer Augenhöhe und so, die sind gemeinsam unterwegs auf dem

00:57:26: Weg mit dem Herrn und so.

00:57:29: Es gibt auch eine falsche, glaube ich ungesunde Gleichmacherei, die nicht eingesteht, dass

00:57:36: man von vielen Menschen als geistiger Autoritätsperson wahrgenommen wird und dass damit auch eine

00:57:42: besondere Verantwortung eigentlich gibt.

00:57:44: Ich glaube, darum geht es oder im Kern, dass diese ganzen Strukturen, diese ganzen theologischen

00:57:51: Debatten, die man hat, um jegliche Ämter, um Ämterlehre, um Beauftragungen etc., letztendlich

00:57:58: dem dienen müssen, dass Autoritäten, die es gibt, autoritäre Strukturen, die es gibt,

00:58:05: sichtbar gemacht werden und kontrolliert werden und wir können uns davon weder dispensieren

00:58:12: mit irgendeiner charismatischen Beauftragung, die jemand hat, die ihn so heilig macht, dass

00:58:17: er keine Kontrolle mehr nötig hat, noch können wir uns davon dispensieren, indem wir sagen,

00:58:22: ja, es ist ja alles basisdemokratisch bei uns, wir sind ja gleiche untergleichen und

00:58:26: besprechen alles bei der TACI Tee.

00:58:28: Ja, absolut.

00:58:29: Ja, wir müssen schon auf die Zielgerade kommen, auch wenn es doch noch vieles zu sagen,

00:58:35: gäbe, Stefan, hast du ein Amen der Woche zu diesem Thema, geist, ich habe michs brauche.

00:58:42: Amen!

00:58:43: Ja, ich glaube, wenn ich so in einem Anliegen zusammenfassen müsste, dann glaube ich, dass

00:58:51: das für alle Christinnen und Christen zu einem ganz, ganz wichtigen Thema werden sollte,

00:58:59: weil es letztendlich der Ort ist, wo die Frage entschieden wird, nicht nur wie sicher

00:59:06: sind wir als Kirchen und Kirchgemeinden, sondern auch wie gut ist es dort zu sein,

00:59:12: was kann ich mitnehmen, wie kann ich mich entfalten, weil der Gegenbegriff zu spirituellem

00:59:19: Missbrauch wäre gar nicht unbedingt die spirituelle Ermächtigung, sondern ich würde sagen, das

00:59:25: wäre die Freiheit, eine Freiheit, in der wir wachsen und uns entwickeln können und die

00:59:32: letztendlich das Ziel des Evangeliums und der Kirche insgesamt sein muss.

00:59:38: Ja.

00:59:39: Also es ist kein Rangthema, das wir auch noch beachten sollten, weil wir jetzt woke werden

00:59:43: müssen, sondern das ist ein Kern der evangelischen Botschaft selbst.

00:59:47: Ja, ja, sehr stark.

00:59:48: Lieben, das war unsere Folge zu einem sehr, finde ich, wichtigen, aber auch ernsten

00:59:54: Thema, spiritueller, geistlicher Missbrauch.

00:59:58: Schreibt uns gerne, was ihr dazu denkt, welche Erfahrungen ihr auch damit gemacht habt

01:00:04: und vielleicht auch was helfen kann, um das Missbrauchspotenzial in gemeindlichen, kirchlichen

01:00:14: Kontexten auch einzugrenzen.

01:00:16: Wir freuen uns auf euer Feedback dazu und wenn ihr mögt, versucht mal, ob es noch

01:00:22: Plätze gibt für die Tagung, die stattfindet in Zürich, wenn ihr in der Nähe seid.

01:00:28: Am Montag, dem 8. September, das dauert von 9 Uhr bis 17 Uhr und unter anderem kommt

01:00:34: da die Professorin Judith Könemann und Judith Könemann ist eine ausgewiesene Forscherin

01:00:41: zum Thema spirituellen Missbrauch, die das wirklich auch auf die Agenda gebracht hat,

01:00:46: das als eine eigene Form von Missbrauch zu sehen und nicht nur in der Anbahnung, nicht

01:00:52: nur dort, wo es dann justiziabel wird, also nicht nur dort, wo es strafrechtlich relevant

01:00:58: wird, sondern dort, wo es um Kirche und ihre Kultur und ihre Theologie insgesamt geht.

01:01:02: Ich freue mich selbst wahnsinnig auf ihr Referat und die Diskussion mit ihr.

01:01:06: Es kann man auch andere ganz tolle, referierende Gruppen, die sich für Prävention und Aufarbeitung

01:01:13: im Bereich spiritueller Missbrauch einsetzen werden, dort sein und sich vorstellen und

01:01:19: das wird auf jeden Fall eine ganz neue Sache.

01:01:21: Vielleicht gibt es noch Plätze, ihr findet den Link in den Shownoten und dann hören wir

01:01:26: uns wieder in einer Woche.

01:01:28: Bis dann, tschüss!

01:01:36: Podcast Festival.

01:01:38: Erlebe an zwei Tagen Liveaufnahmen von Podcasts wie Unterfahrerstöchtern, Kaffeefreitag,

01:01:48: Hossa Talk, die sogenannte Gegenwart und vielen anderen.

01:01:54: Mit dabei sind auch Olivia Roilin, Niklaus Branschen, Torsten Dietz und natürlich das

01:02:01: RevLab am 6. und 7. September.

01:02:06: Kauf jetzt ein Ticket auf RevLabFestival.ch.

01:02:12: Alles wird gut.

Über diesen Podcast

Was heisst das eigentlich, Christ zu sein? Woran glauben Christen und was können sie getrost aufgeben? Logisch, dass sich Manuel Schmid & Stephan Jütte dabei nicht immer einig sind. Aber sie versuchen in diesem Podcast zusammen herauszufinden, was für sie wirklich zählt und was ihnen eher im Weg steht. Und klar: Beide wissen es auch nicht wirklich. Aber vielleicht regt es dich an zum Mitdenken. Oder es regt dich auf und du magst mit ihnen streiten. Oder du schreibst ihnen einfach mal, was du nicht mehr glauben kannst oder musst oder willst.

von und mit Manuel Schmid & Stephan Jütte

Abonnieren

Follow us