00:00:00: (Düstere Musik)
00:00:01: Ausgeglaubt.
00:00:04: Der Podcast über das, was wir nicht mehr glauben
00:00:08: und das, was uns wichtig bleibt.
00:00:11: RefLab.
00:00:14: Wir sind wieder da.
00:00:20: Und wir sind über das Thema Freiheit noch immer nicht in ausgekommen.
00:00:26: Hallo, Stefan. - Hallo, ich hoffe, das werden wir nie, Mannu.
00:00:29: Aber wir behandeln uns heute noch mal explizit.
00:00:32: Wir haben uns vorgenommen, das konkreter zu tun.
00:00:35: Wir haben uns jetzt so ein bisschen Theologie, Ideen geschichtlich,
00:00:39: dem Freiheitsbegriff, man genähert da ein paar Schneißen geschlagen.
00:00:42: Falls ihr das nicht gehört habt, da gibt's schon zwei Folgen zu.
00:00:45: Könnt ihr gerne reinhören.
00:00:47: Wir haben aber gesagt, die Folge heute,
00:00:49: die soll mal etwas konkreter sein.
00:00:51: Wo begegnen wir denn positiver oder negativer Freiheit?
00:00:55: Und, Mannu, ich frag dich jetzt einfach Freiheit.
00:00:58: Wo hast du da in deinem eigenen Leben Punkte, wo du sagst,
00:01:02: ja, wo, da stößt meine Freiheit an Grenzen?
00:01:05: Oder da bin ich froh, eine Freiheit realisieren zu können.
00:01:09: Wo ist der Begriff, der ja zunächst sehr abstrakt,
00:01:12: daher kommt das reine Möglichkeitenbegriff?
00:01:14: Wo ist dieser Begriff in deinem Leben mit Leben und Inhalt gefüllt?
00:01:18: (Lachen)
00:01:19: Ja, also natürlich an ganz verschiedenen Stellen.
00:01:23: Ich hab beim Nachdenken über positive und negative Freiheiten.
00:01:27: Und dann auch über dieses, das haben wir ja bei Schleiermacher
00:01:31: und BART und bei Luther auch schon gesehen,
00:01:33: dass sich das irgendwie auf eigentümliche Weise verschränkt.
00:01:37: Also einerseits die Freiheit und andererseits auch die Gebundenheit
00:01:41: oder eine Gebundenheit, die man im Namen der Freiheit eingeht.
00:01:46: Politisch haben wir dann bei Rousseau gesehen,
00:01:48: dass man sich selber Gesetze gibt.
00:01:50: Dass er in einer freien Gesellschaft,
00:01:53: gibt sich die freie Gesellschaft selber Gesetze,
00:01:56: gebunden weiß.
00:01:57: Und da hab ich mich auf individueller Ebene ein bisschen erinnert.
00:02:01: Natürlich an wahrscheinlich eine der folgenschwersten
00:02:04: oder die folgenschwerste Entscheidungen,
00:02:07: die ich in meinem Leben zusammen mit meiner Frau natürlich getroffen habe,
00:02:11: nämlich Familie zu gründen.
00:02:13: Und das hat ja dann auch geklappt.
00:02:16: Okay, aber jetzt nehmen wir uns mal mit.
00:02:18: Geht jetzt nicht um den Teil im Schlafzimmer,
00:02:20: sondern an der Vorliebe. - Vielen Dank.
00:02:22: Darf ich mir das so vorstellen?
00:02:24: Ich hab mir das an einem Küchentisch gesetzt.
00:02:27: Und dann hast du gesagt, ich hab eine These, es wär sinnvoll,
00:02:30: wir gründen eine Familie, verhalte dich mal dazu.
00:02:33: (Lachen)
00:02:34: Aber es klingt ein bisschen so,
00:02:36: oder die Entscheidung, eine Familie zu gründen.
00:02:38: Ja, ich hab das jetzt natürlich arg verkürzt.
00:02:41: Und das Ganze ist komplexer gewesen.
00:02:44: Wir sind ja zwölf Jahre verheiratet gewesen, ohne Kinder.
00:02:48: Wir haben sehr früh geheiratet.
00:02:50: Und uns war eigentlich immer klar,
00:02:52: wir haben das für uns immer so ausgemacht,
00:02:54: dass wir Familie gründen wollen.
00:02:56: Und haben jahrelang gesagt, wir haben weder Geld noch Zeit.
00:03:00: Für eine Familie irgendwann ist uns dann klar geworden.
00:03:03: Also mindestens die Zeit läuft uns langsam davon.
00:03:06: Und wenn Familie gründen, dann wär's jetzt aber wirklich mal dran.
00:03:10: Und so ist das dann zustande gekommen,
00:03:13: dass wir das dann auch versucht haben.
00:03:15: Und gesagt haben, ja, wenn dann jetzt,
00:03:17: und dann hat's dann auch geklappt.
00:03:19: Und wir sind eben inzwischen eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern,
00:03:25: die zwölf und vierzehn Jahre alt sind.
00:03:28: Damals, als sie noch ganz klein waren,
00:03:30: vor allem natürlich dann bei einem Kind war das noch recht easy.
00:03:34: Bei zwei Kindern, da hat das dann angefangen,
00:03:37: wirklich zeitweise auch relativ eng zu werden.
00:03:40: Eben auch mit den Freiheitsräumen.
00:03:43: Da hat man dann gemerkt, okay, das sind anstrengende Nächte,
00:03:47: wenn Kinder schreien, wenn man mehrmals nachts auf muss,
00:03:51: wenn man sich für alles absprechen muss,
00:03:54: weil man die Kinder eigentlich keine Minute alleine lassen kann.
00:03:58: Und da ist dann auch der Lebensradius dramatisch geschrumpft.
00:04:02: Also natürlich von uns beiden, da hat sich so vieles getan.
00:04:08: Und das Interessante jetzt auf dem Hintergrund dieser Freihalztebarte
00:04:11: ist natürlich, dass wir uns ja, wir sind ja nicht unter einem Zwang gestanden,
00:04:16: eine Familie zu gründen.
00:04:18: Wir haben uns mehr oder weniger freiwillig,
00:04:20: also ich sage jetzt mehr oder weniger,
00:04:22: weil wir natürlich in bürgerlich traditionellen Verhältnissen
00:04:26: aufgewachsen sind, wo Familiengründung schon,
00:04:29: wenn nicht alternativlos,
00:04:30: dann auf jeden Fall das präferierte Lebensmodell war.
00:04:34: Aber wir haben uns, wir wollten das,
00:04:36: ich darf, das kann das wirklich wirklich mit Überzeugung sagen,
00:04:40: wir haben das auch persönlich gewollt
00:04:43: und haben uns ganz frei dafür entschieden,
00:04:46: das mindestens zu versuchen.
00:04:47: Garantiert ist das ja nicht, dass das klappt.
00:04:49: Aber wir haben gesagt, doch, wir möchten Familie gründen.
00:04:52: Und in dieser Freiheit haben wir uns an ein Leben gebunden
00:04:59: oder an zwei Kinder gebunden,
00:05:02: die uns mindestens in der Kleinkindefase
00:05:05: ganz, ganz viele individuelle Freiheitsräume natürlich eingezogen haben.
00:05:11: Also plötzlich war da nichts mehr mit spontan ins Kinoabend.
00:05:16: Wir hatten keine Eltern und Schwiegereltern in der Nähe,
00:05:19: die dann die Kinder mal eben kurzfristig hätten übernehmen können.
00:05:23: Und das hieß dann wirklich, unser Leben wurde schlagartig sehr viel komplizierter
00:05:28: und unsere Freiräume uns selbst zu verwirklichen,
00:05:32: Freizeit zu leben und so weiter,
00:05:35: ist dramatisch gesunken oder eingezogen worden.
00:05:41: Und das ist eine interessante Erfahrung gewesen
00:05:45: und was für mich aber noch die krassere Erfahrung war.
00:05:49: Also ich hab das Gefühl gehabt,
00:05:51: mir sind da ganz viele Freiheitsräume verloren gegangen,
00:05:56: aufgrund der freien Entscheidung, Familie zu gründen.
00:05:59: Und dann hab ich erlebt, wenn dann meine Frau mal irgendwie
00:06:04: von mir aus auf Besuch bei ihren Eltern war mit den Kindern.
00:06:07: Und ich war einen Samstag ganz alleine.
00:06:09: Das hat es dann selten mal gegeben,
00:06:12: dass ich plötzlich Freizeit zur Verfügung hatte
00:06:17: und mich wochenlang gefreut habe auf diesen Samstag.
00:06:19: Und dann sitze ich da am Samstag und verabschiede die Familie
00:06:23: und bin allein und denke, du kannst machen, was du willst.
00:06:26: Und ich merke, ich bin überfordert.
00:06:28: Ich bin mit mir selbst überfordert.
00:06:30: Ich weiß gar nicht, was ich tun soll.
00:06:32: Ich weiß gar nicht, was mir jetzt gut tun würde.
00:06:35: Ich lese ein bisschen und denke,
00:06:37: ach, hätte ich mich doch lieber in eine Sauna gehen sollen,
00:06:40: in einen Wellnessbereich.
00:06:42: Und dann sitze ich im Hallenbad und denke,
00:06:45: hätte ich mich doch lieber Fahrrad fahren sollen.
00:06:47: Und ich merke, ich bin quasi mit dieser positiven Freiheit,
00:06:52: die mir hier zur Verfügung steht.
00:06:54: Also mit der Freiheit, mein Leben, zumindest diesen einen Tag,
00:06:58: zu gestalten nach meinem Sinn und Gewissen,
00:07:02: nach meinen Werten und Zielen.
00:07:04: Mit dieser Freiheit war ich dann überfordert,
00:07:06: weil ich irgendwie gar nicht mehr wusste,
00:07:08: wer bin ich eigentlich ohne diese Verpflichtungen
00:07:11: und ohne diese Familie, die ich mich jetzt hier hineingelebt habe?
00:07:15: Das war eine spannende Fahne.
00:07:17: Einiges davon kann ich nachempfinden
00:07:20: und habe auch eigene Bilder dazu.
00:07:23: Ich bin damals aus einer WG mit meinem Kumpel in Basel
00:07:28: nach Bern gezogen, mit Franzi zusammengezogen,
00:07:31: die schon eine Tochter hatte,
00:07:34: die jetzt auch für mich wie eine Tochter ist,
00:07:38: die aber auch ihren Papa noch hat hier in Bern.
00:07:41: Und ja, dauerte dann gar nicht so lange
00:07:45: und dann kam mein Sohn auf die Welt.
00:07:47: Und für mich war das schon
00:07:49: eine ziemlich rasche Umstellung das Ganze.
00:07:53: Also so von, ja, wirklich jetzt so Wege mit nachtslange wachbleiben,
00:07:59: manchmal auch zu wenig schlafen,
00:08:01: aber immer selbst gewählt hin zu dem Family Life in einer anderen Stadt,
00:08:06: wo du auch nicht diesen Freundeskreis hast,
00:08:08: wo du einfach mal rausgehst und Leute triffst,
00:08:11: die du eh schon kennst.
00:08:12: Also all das war wirklich eine große Änderung.
00:08:15: Nur, wo ich ein bisschen stocke und nicht ganz mitkomme,
00:08:19: ist immer dort, wo du das als Wahl beschreibst.
00:08:22: Also ich will dir nicht absprechen, dass bei dir eine Wahl war.
00:08:25: Ich könnte es, glaube ich, rückblickend auf meine Situation
00:08:30: nicht als Wahl beschreiben.
00:08:32: Hm.
00:08:33: Wenn ich es jetzt mal versuche, mit diesen Freiheitbegriffen
00:08:37: zusammenzubringen, dann war es bei mir wahrscheinlich eher so,
00:08:40: dass ich nicht das Gefühl hatte,
00:08:42: dass ich jetzt eine positive Freiheit realisiere,
00:08:47: sondern ich habe, ja, ich würde sagen, da ist mir etwas widerfahren,
00:08:54: was für mich sehr bedeutungsvoll war.
00:08:57: Und ich dankbar war, dass es eine Freiheit gibt,
00:09:02: dass es in dieser Gesellschaft erlaubt ist,
00:09:06: dass jemand, der schon verheiratet ist, sich wieder scheiden lassen kann,
00:09:10: man zusammen eine neue Familie gründet, etc.,
00:09:13: also das alles schon,
00:09:15: aber jetzt nicht in dem Sinn, dass ich gesagt hätte,
00:09:17: ich realisiere jetzt hier einen bestimmten Wert.
00:09:21: Oder ich habe mir zum Beispiel auch nie überlegt,
00:09:24: soll ich jetzt eher eine Familie oder eine Unikarriere anstreben?
00:09:29: Jetzt kann man sofort sagen, na klar, du bist ja auch ein Mann,
00:09:32: ihr müsst euch das ja nicht überlegen,
00:09:34: ihr könnt ja immer beides haben.
00:09:35: Bei meinem Fall wirklich nicht ganz so einfach,
00:09:37: weil es schon hieß, dass ich sehr ortsgebunden sein werde,
00:09:39: auf ganz lange Zeit.
00:09:41: Und trotzdem war das nie so quasi in Trade-off oder in Mindgame,
00:09:45: das ich mir gemacht habe und dazu überlegen,
00:09:47: was ist jetzt irgendwie, worin sehe ich mich freier,
00:09:51: was ist der höhere Wert für mich?
00:09:53: Ja, ja.
00:09:54: Aber das kann ich auch nachvollziehen.
00:09:56: Also wenn ich sage, das war eine Entscheidung,
00:09:58: dann meine ich damit jetzt auch nicht unbedingt,
00:10:01: dass ich jetzt auf dem grünen Tisch irgendwie Argumente dafür
00:10:04: untergegen gesammelt und gegeneinander abgewogen hätte.
00:10:08: Aber wenn ich jetzt die Definition positiver Freiheit als die Freiheit,
00:10:12: sein Leben nach den eigenen Werten und Zielen zu gestalten,
00:10:17: auffasse, dann würde ich schon sagen,
00:10:20: die Familiengründung hat für mich natürlich damit zu tun,
00:10:25: dass ich frei war, mein Leben nach eigenen Werten und Zielen zu gestalten
00:10:31: und wirklich auch schon lange vorher überzeugt war,
00:10:35: ich würde gerne einmal eine Familie gründen, Kinder großziehen.
00:10:41: Das hat für mich irgendwie gestimmt und für meine Frau auch.
00:10:47: Und dazu ist es dann auch gekommen.
00:10:50: Und ich habe das in dem Sinne als Verwirklichung
00:10:53: einer Lebensgestaltungsfreiheit jetzt beschrieben vorhin.
00:10:58: Was ja hier ein ganz spannender Punkt ist,
00:11:01: ob wir da überhaupt zu Recht von Freiheit sprechen.
00:11:05: Ich meine, wenn wir jetzt so eine Freiheitsdefinition,
00:11:08: wie die von Kant nehmen, der auf eine Autonomie abhebt,
00:11:12: die davon ausgeht, dass ich quasi selbst einen Willen fassen kann
00:11:17: und mich diesem Willen gemäß dann auch verhalten kann,
00:11:21: also das tun kann, was ich wirklich möchte,
00:11:24: dann finde ich, dass im Fall der Familiengründung
00:11:28: und der Vorstellung, Kinder zu haben, gar nicht so einfach.
00:11:31: Weil ich zugeben müsste, dass ich, bevor ich Kinder hatte,
00:11:36: mir gar nicht vorstellen konnte, was es bedeutet, Vater zu sein.
00:11:40: Ja? - Ich hatte quasi nicht ...
00:11:43: Also, wie soll ich sagen?
00:11:46: Ich glaube nicht, dass ich einen Willen haben konnte, Vater zu sein,
00:11:50: weil ich keine Vorstellung davon hatte,
00:11:52: was es bedeutet, Vater zu sein.
00:11:54: Das schließt ja mal nicht aus.
00:11:56: Du kannst ja einen Willen haben zu etwas,
00:11:59: dass du eigentlich nicht so wirklich abschätzen kannst.
00:12:02: Also, es gibt ja ...
00:12:04: Lassen sich viele Ziele denken, die man sich wirklich setzt,
00:12:09: ohne sich ihrer Implikationen wirklich bewusst zu sein.
00:12:12: Und bei manchen sagt man dann auch,
00:12:15: ja, meine Fresse hätte ich das gewusst oder so.
00:12:17: Gibt es ja auch bei Familien jetzt nicht unbedingt,
00:12:20: dass man sagt, oh Gott, hätte ich das gewusst,
00:12:23: ich bereue, dass wir Kinder gehabt haben.
00:12:25: Gibt es auch, aber doch eher selten.
00:12:27: Die meisten Eltern würden ihre Kinder nicht mehr abgeben wollen,
00:12:31: wenn sie sie einmal auf die Welt gestellt haben.
00:12:33: Aber, was doch eine fast schon überwältigend große Mehrheit
00:12:38: der Eltern wahrscheinlich sagen würde,
00:12:40: dass es Zeiten in ihrem Elternsein gegeben hat,
00:12:44: die sie einen Preis gekostet hat,
00:12:47: dessen sie sich vor der Elternschaft nicht bewusst waren.
00:12:51: Man romantisiert das dann so ein bisschen und denkt,
00:12:54: ach, wie schön, wenn man dann den Säugling in Händen hält.
00:12:57: Was ich mir alles ausgemalt habe, wenn wir Kinder haben,
00:13:00: dann gehe ich dann in ein Kaffee und ich lese die Zeitung
00:13:03: und das Kind spielt mit einem kleinen, bunten Würfel oder so.
00:13:08: Und dann merkst du plötzlich meine Fresse,
00:13:10: du kannst keine Zeile lesen, wenn das Kind mit im Kaffee ist.
00:13:14: Ja, aber das finde ich alles Dinge, die konnte ich mir vorstellen.
00:13:19: Das war nicht wirklich schwieriger.
00:13:21: Das wirklich schwierige war,
00:13:23: dass es etwas gibt in meinem Leben,
00:13:26: das mir wichtiger ist als ich selbst.
00:13:28: Ja, das konnte ich mir nicht vorstellen, bevor ich Kinder hatte.
00:13:33: Ich wusste, wie es sich anfühlt,
00:13:35: wie jemanden sehr, sehr zu lieben.
00:13:38: Aber ich wusste nicht, wie das wirklich
00:13:43: ist und welche schon fast körperlichen Reaktionen das auslöst,
00:13:49: dass da jemand ist,
00:13:53: mit dem du wirklich physisch mitleidest,
00:13:56: wenn er Schmerzen hat, den du ständig denkst,
00:14:00: dessen Gesundheit dir wichtiger ist als deine eigene.
00:14:03: Ich sage auch nicht, dass es immer so sein muss.
00:14:05: Es war nur für mich eine komplett unerwartete Erfahrung,
00:14:08: dass es so was gibt.
00:14:10: Und zwar nicht, wer ich immer gedacht hätte,
00:14:12: dass ich das immer das Wichtigste,
00:14:14: sondern weil ich einfach diese Erfahrung nicht gemacht habe.
00:14:17: Das ist ein spannender Punkt,
00:14:19: dass man quasi im Zuge der Verwirklichung seines Lebens
00:14:24: und auch seiner Freiheit, würde ich jetzt doch sagen,
00:14:28: an einen Punkt kommen kann, wo man merkt,
00:14:31: da ist jetzt, gerade wenn es um Beziehungen und Menschen geht,
00:14:34: da habe ich mich jetzt an einen Menschen gebunden
00:14:37: oder fühle ich mich für einen Menschen verantwortlich,
00:14:41: der mir so viel bedeutet, dass es mich schon fast erschreckt.
00:14:45: Ich merke, dass ...
00:14:47: Aber siehst du mal, genau deswegen bring ich das Beispiel,
00:14:51: weil da wird jetzt der Freiheitsbegriff so schwierig.
00:14:54: Oder wenn wir sagen, ich nehme jetzt das noch mal Glaube
00:14:57: und Gesellschaft, diese beiden Pole auf.
00:14:59: Wir haben die negative Freiheit,
00:15:01: die eigentlich eine rein abstrakte Wahlfreiheit ist,
00:15:04: eine Möglichkeit, etwas zu wählen.
00:15:07: So haben sie es definiert.
00:15:08: Wir haben eher gesagt, es geht darum,
00:15:10: dass die Menschen geschränkt werden.
00:15:12: Am Schluss, ganz nahe beieinander.
00:15:14: Auf der anderen Seite habe ich also diesen Pole,
00:15:17: dass ich selbst etwas umsetzen kann, was mir wertvoll ist
00:15:21: und etwas bedeutet.
00:15:23: Dann würde ich sagen, ja, beides hat eigentlich nichts damit zu tun,
00:15:27: dass ich Kinder habe, sondern dass ich Kinder habe,
00:15:31: dass ich mit einer Frau zusammen lebe, die ich sehr liebe,
00:15:34: dass ich Eltern habe, die ich sehr liebe,
00:15:37: dass sie nie Dinge, die ich gewählt habe
00:15:39: oder die von einer Freiheit leben,
00:15:42: die ich realisiere und konkretisiere.
00:15:45: Oder quasi in die Welt setze.
00:15:47: Sondern das sind alles Dinge, die mir selbst widerfahren sind.
00:15:50: Mhm.
00:15:52: Also genauso, wie es Schicksalsschläge geben kann,
00:15:55: die negativ sind.
00:15:57: Irgendwie Umfälle, Krankheiten.
00:16:01: Ja.
00:16:02: Schmerzhafte Verluste und so.
00:16:04: Auf dieser Ebene, nur aber im Positiven,
00:16:07: deute ich diese ganz engen wichtigen Beziehungen.
00:16:10: Also deswegen nicht als Realisierung von Freiheit,
00:16:15: sondern eher als etwas, das mir im Leben geschenkt worden ist
00:16:19: und das ich dann sekundär deuten kann,
00:16:22: als "Oh, wie viel Freiheit kostet mich das?
00:16:25: Welche Werte verbinde ich damit?
00:16:27: Was möchte ich in diesen Beziehungen leben?" etc.
00:16:30: Aber dass diese Menschen da sind.
00:16:33: Und das sind ja reale Menschen, die da sind
00:16:36: und die Beziehungen haben zu mir.
00:16:38: Das ist nicht etwas, was aus meiner Freiheit lebt,
00:16:40: sondern das ist eigentlich etwas,
00:16:42: was aus meiner Freiheit voraus ist, würde ich sagen.
00:16:45: Ja, ich habe Mühe, dir bis dahin zu folgen,
00:16:51: dass es mit Freiheit nichts zu tun hat.
00:16:53: Aber ich finde den Gedanken wertvoll,
00:16:56: dass es, dass jetzt, gerade wenn wir von Beziehungen sprechen,
00:16:59: gerade wenn wir von Ehhe und Familie zu sprechen,
00:17:03: dass es nicht etwas ist, was man irgendwie auf neutralem Grund
00:17:07: irgendwie vor zwei Türchen, beim einen steht A,
00:17:10: keine Ehhe, beim anderen steht B mit Ehhe,
00:17:13: um man sich dann quasi für eines der Türchen entscheidet,
00:17:17: sondern da wieder fährt einem etwas, gerade das Verliebtsein.
00:17:21: Ich habe mich ja nicht entschieden, mich in meine Frau zu verlieben,
00:17:24: sondern da ist mir eine Person begegnet und ans Herz gewachsen
00:17:28: und ich habe plötzlich gemerkt, mein Gott,
00:17:30: die Person ist mir derart wichtig geworden.
00:17:32: Und ich habe so starke Gefühle für diesen Menschen und so weiter.
00:17:37: Das sind ja ein Stück weit auf jeden Fall Wiederfahrenisse.
00:17:40: Aber ich bin ja doch dann da auch ganz als Person mit involviert.
00:17:46: Es ist ja nicht so, dass ich quasi Opfer meiner Gefühle oder meiner Ebenen ...
00:17:53: Das meine ich gar nicht.
00:17:54: Nur du hast nicht selbst dafür gesorgt,
00:17:58: dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt.
00:18:00: Ja. - Also es ist eine sehr bedingte Freiheit,
00:18:03: die du einer Gnade verdankst, die du nicht selbst in die Welt gebracht hast.
00:18:07: Ja, aber das finde ich sehr schön, weil man das ja leicht zurückbinden kann
00:18:11: an das, was wir über den biblischen Freiheitsbegriff auch gesagt haben.
00:18:15: Die Zuwendung Gottes eigentlich uns die Freiheit des Lebens erst eröffnet.
00:18:21: Und dass wir nach Schleiermacher eben dieses Leben,
00:18:25: dass es ein verdanktes Leben ist.
00:18:27: Genau, also dieses Gefühl der schlechtenjenigen Abhängigkeit,
00:18:30: das klingt so abstrakt.
00:18:32: Aber ich glaube tatsächlich, dass es empirisch sehr viel gibt in unserem Leben,
00:18:38: indem wir etwas davon erfahren.
00:18:41: Ja. - Dinge, die wir eben nicht selbst in die Welt gebracht haben
00:18:44: und die Möglichkeiten erst eröffnen.
00:18:47: Das Problem, wenn man sich Freiheit so denkt, wie kann das,
00:18:51: dann ist es ja eigentlich die Idee, dass ich mir vernünftig selbst
00:18:54: ein Gesetz geben kann, das ich befolgen kann.
00:18:57: Und dann kann eigentlich meine Freiheit nur dort an eine Grenze geraten,
00:19:03: wo Umstände oder irgendwelche Mächte, Staaten etc.
00:19:08: ein Regelwerk aufstellen und das sanktionieren können,
00:19:12: dass ich nicht das tun kann, was ich eigentlich für richtig halte.
00:19:15: Oder wenn ich so mache, das quasi so in der Nietzsche Art,
00:19:19: dass ich sage, ich muss ein Tier sein, das ein Versprechen abgeben darf.
00:19:23: Also dieser quasi Heroismus, dass ich als jemand für etwas stehen kann,
00:19:28: der in Freiheit etwas wählt, das er dann in der Welt auch umsetzt.
00:19:33: Also diese wirklich pathetische Idee eines heroischen Menschen,
00:19:38: sag ich jetzt mal, dann glaube ich, dass beides eigentlich verkennt,
00:19:42: dass das, was wir als wirkliche Freiheit erleben,
00:19:45: gar nicht aus dieser Art von Selbstermächtigung,
00:19:49: sei es jetzt über den Verstand oder über die Standhaftigkeit
00:19:53: oder was auch immer in die Welt kommt,
00:19:55: sondern dass das, was wir als wirkliche Freiheit und Gebundenheit erleben,
00:19:59: eigentlich ein Beziehungsgeschehen ist,
00:20:01: in das wir eingewoben werden im Laufe unseres Lebens.
00:20:05: Also ein beziehungsloser Mensch hat keine Freiheit.
00:20:08: Ja, good point.
00:20:09: Wenn ich an Gefangene denke, die sich dann äußern können
00:20:13: oder die Briefe schreiben konnten oder die nach langer, langer politische Gefangene,
00:20:18: nach langer, langer Gefangenschaft eine Biografie schreiben konnten,
00:20:22: die betont doch alle, wie wichtig es für sie war,
00:20:25: zu wissen, dass da andere sind, die an sie denken.
00:20:28: Da war nie in seiner Rede vor Gericht, hat betont,
00:20:31: das ist der Trick, sie wollen dir das Gefühl geben,
00:20:33: dass du ganz alleine bist.
00:20:36: Das ist die einzige Art, Freiheit wirklich auszulöschen,
00:20:39: ist dir das Gefühl geben, dass du wirklich alleine bist.
00:20:42: Und ich glaube aber, Kant und Nietzsche
00:20:46: treffen da mindestens nicht das, was mir wichtig wäre an Freiheit,
00:20:50: weil sie es zu sehr auf das, was du tun kannst,
00:20:53: was von dir aus kommt, als Individuum beziehen und vergessen,
00:20:58: dass wir eigentlich eingewoben sind in Beziehungsnetze,
00:21:02: die erst solche Werte entstehen lassen,
00:21:06: die uns vielleicht wichtiger sind als unsere eigenen Effekte.
00:21:09: Ja, ja.
00:21:10: Also lass mich das zuerst stark machen,
00:21:13: um es dann ein Stück weit wieder zu problematisieren.
00:21:16: Aber ich finde, man kann das sogar noch ausdehnen.
00:21:19: Ich erinnere mich jetzt an das Gespräch,
00:21:21: dass ich mit Barbara Bleisch zum Thema Lebenssinn geführt habe.
00:21:25: Und da ist mir das auch klar geworden,
00:21:28: dass überhaupt Dinge, die uns Erfüllung und das Gefühl
00:21:32: von Sinnbestimmung, auch von Selbstbestimmung geben,
00:21:36: dass diese Gefühle immer eigentlich
00:21:39: dieses Moment des Widerfahrenes in sich tragen.
00:21:43: Also nicht einmal nur die Frage, wie bist du eigentlich
00:21:46: zu der Frau gekommen, mit der du zusammenlebst.
00:21:49: Oder wie bist du zu diesen Kindern gekommen?
00:21:51: Nicht nur das hat auch ein Moment des Widerfahrenes.
00:21:54: Da ist nicht nur persönliche Entscheidung,
00:21:56: da ist etwas, das uns widerfahren.
00:21:59: Da sind wir jemanden begegnet und da ist etwas in Bewegung gekommen,
00:22:02: dass wir gar nicht so, gar nicht völlig unter Kontrolle hatten,
00:22:05: sondern sogar auch ganz banale Dinge.
00:22:08: Warum spielt ein Musiker leidenschaftlich oboe?
00:22:13: Warum hat jemand anderes seine ganze Freizeit mit Golf spielen
00:22:19: oder mit Tischtennis spielen verbracht?
00:22:22: Oder macht sogar seinen Sport zum Beruf?
00:22:25: Und so, warum, wenn du die Leute fragst,
00:22:28: die wenigsten würden dir antworten, ja,
00:22:30: ich habe ganz verschiedene Instrumente, die man spielen kann.
00:22:33: Und ich habe mal jedes ausprobiert und habe gedacht,
00:22:35: warum nicht oboe?
00:22:36: Die meisten würden sagen, ja, irgendwie,
00:22:38: natürlich, ich habe Leute gekannt, die das,
00:22:41: ich bin aufgewachsen mit Blasinstrumenten
00:22:43: und dann habe ich irgendwann diese,
00:22:45: aber meistens kommt irgendetwas ins Spiel von,
00:22:48: ich habe gemerkt, das ist mein Instrument.
00:22:50: Und ich habe gemerkt, das ist mein Sport.
00:22:52: Ganz oft ist es die Begeisterung der anderen, die uns anstecken.
00:22:56: Genau, aber es ist immer, sogar bei so,
00:22:59: sag ich mal mehr oder weniger, banalen Dingen,
00:23:03: die aber Sinterfüllung stiften,
00:23:05: ist ein Widerfahrenesmoment mit dabei,
00:23:07: wo man sagt, da habe ich nicht einfach verschiedene Sportarten,
00:23:11: auf gegeneinander abgewogen, gedacht,
00:23:13: wo sind die wenigsten Risiken involviert,
00:23:16: was ist am besten im Blick auf Reaktionsfähigkeit im Alter?
00:23:20: Sondern irgendwann merkt man,
00:23:23: ich finde, Tischtennis einfach wahnsinnig faszinierend.
00:23:26: Und ich mache das lieber als irgendwas anderes.
00:23:28: Und da ist dieser Widerfahrenescharakter immer dabei.
00:23:32: Jetzt aber, ich finde, es ist auch immer,
00:23:36: ob man das dann Wahlfreiheit nennen will, sei dahingestellt,
00:23:40: aber es ist auch immer dieses ganz zutiefst persönliche
00:23:43: involvement mit dabei.
00:23:45: Ich bin nicht vom Tischtennis von der Oboe
00:23:50: oder von meiner Frau überwältigt worden,
00:23:52: sondern ich habe mich selbst quasi in eine Geschichte hineinbegeben.
00:23:58: Und ich habe ja gesagt,
00:23:59: irgendwann habe ich ja zu meiner Frau bei Oboe und Tischtennis
00:24:03: jetzt nicht genau das selbe Kommen,
00:24:05: aber irgendwann habe ich meiner Frau
00:24:07: vor versammelter Hochzeitsgemeinde gesagt,
00:24:10: ich möchte zu dir stehen und mit dir zusammen sein,
00:24:13: bis der Tod uns scheidet.
00:24:15: Und da bin ich zutiefst als eigene Person mit dabei.
00:24:20: Und da sage ich ja zu dem, was mir widerfahren ist.
00:24:24: Ja, nur zwei Dinge.
00:24:25: Ich weiß, was du meinst.
00:24:27: Ich finde es wirklich ein wichtigen Punkt,
00:24:29: aber ich glaube, da müssen wir jetzt ganz präzise sein.
00:24:32: Weil ich glaube, es war nicht so,
00:24:33: oder nein, ich spreche jetzt mal nicht von dir,
00:24:36: das ist eine blöde Unterstellung.
00:24:37: Aber ich selbst könnte von mir nicht sagen,
00:24:40: dass es so war, dass ich gesagt habe, okay, Tür A,
00:24:44: ich führe eine Beziehung mit dieser Frau Tür B,
00:24:47: ich führe keine Beziehung mit dieser Frau,
00:24:49: sondern tu was anderes.
00:24:51: Tür C, ich such nochmal einen dritten Weg oder irgendwie sowas,
00:24:55: sondern das Ganze lebt davon,
00:24:59: dass man eine Beziehung aufbaut,
00:25:02: in der sich etwas etabliert, was quasi zu einem Selbstläufer wird.
00:25:07: Es ist nicht so, dass man sich hinsetzt an den Schreibtisch
00:25:11: und mal Stefan Jüttes Wertekatalog hervornimmt
00:25:15: und dann sagt, so, jetzt messe ich diese Beziehung
00:25:18: mal an meinen definierten Wertmaßstäben,
00:25:21: die ich irgendwo aufgestellt habe.
00:25:23: Und schaue nochmal in die Zehn Gebote, um zu überlegen,
00:25:27: ob das jetzt weiße ist und richtig und gut, oder?
00:25:30: Sondern es sind Dinge, die R-Lebt-Mann.
00:25:34: Man lebt sich in sowas hinein.
00:25:37: Die Freiheit würde immer darin bestehen, dass man sagt,
00:25:41: ich möchte aber nicht dieser sein, der ich glaube zu werten,
00:25:45: wenn ich das weitermache, ich kann da aussteigen.
00:25:47: Das kannst du aber auch noch nach dem großen Jahr
00:25:50: Vorstandesamt und Gemeinde tun.
00:25:52: Das ist schon möglich.
00:25:53: Ich meine, dieses Punkt ist doch viel zu decisionistisch gedacht.
00:25:58: Natürlich feiern wir Hochzeiten und sagen ja,
00:26:01: oder ja, mit Gottes Hilfe, oder wie auch immer.
00:26:04: Aber natürlich weiß jeder,
00:26:06: dass es dieses Versprechen nicht ernsthaft geben kann.
00:26:10: Ja, doch.
00:26:11: Also, es ist ein Versprechen im Siebene einer Willensbekundung.
00:26:14: Ich möchte, ich möchte das.
00:26:16: Es ist eine Willensbekundung.
00:26:19: Genau, es ist eine Willensbekundung,
00:26:21: die du tun kannst, als der, der erlebt hat,
00:26:23: was er bis jetzt erlebt hat,
00:26:25: als der, der als dieser da steht in diesem Moment.
00:26:28: Es ist keine Garantie, wenn du das in 50 Jahren drüber denkst.
00:26:32: Ja, und ich weiß ja auch noch nicht, was mich diese Ehe kosten wird.
00:26:36: Ich weiß auch nicht, was mich die Familie kosten wird,
00:26:39: oder was mich ein, keine Ahnung, wenn du einen Beruf mit Menschen
00:26:42: ergreifst, weil du auch wieder dieses Überwältigungsmoment,
00:26:45: weil dir, keine Ahnung, du übernimmst die Leitung eines Weisenhauses,
00:26:50: weil du angerührt bist vom Schicksal dieser Kinder
00:26:52: und in ihr Leben investieren möchtest du so, sagst du ja dazu,
00:26:56: du weißt noch nicht, was es dich kosten wird.
00:26:58: Und irgendwann kann es auch sein, dass der Preis so hoch wird,
00:27:02: dass du dich da wieder rausnehmen musst.
00:27:04: Ja, und wenn man versucht,
00:27:06: zu lösen jetzt von der wirtschaftlichen Metapher,
00:27:08: dass es dich kosten wird, wie hoch der Preis ist,
00:27:11: dann könnte man es auch existenziell erfassen und sagen,
00:27:14: ich weiß noch nicht, ob ich in der Lage sein werde
00:27:17: und ob ich den Willen haben werde,
00:27:19: dass ich mich als derjenige verstehen zu wollen,
00:27:22: der ich sein müsste, um in dieser Beziehung
00:27:24: oder um in diesem Job zu bleiben.
00:27:26: Mhm, mhm.
00:27:27: Und das ist ja immer das Risiko, was man eingeht.
00:27:33: Und deswegen muss man ein bisschen vorsichtig sein
00:27:36: mit dem Begriff "ehe versprechen", die Absicht bekommen.
00:27:39: Das finde ich super.
00:27:40: Aber da, wo wir doch jetzt eigentlich hinkommen,
00:27:44: damit es doch nicht so ist,
00:27:47: dass wir rein rational entscheiden,
00:27:50: ich fange jetzt an Tischtennis zu spielen
00:27:52: und das dann durchziehen.
00:27:54: Oder dass wir entscheiden,
00:27:56: ich möchte gerne mit diesem Menschen
00:27:58: den Rest meines Lebens verbringen oder irgendwie so was.
00:28:01: Sondern, dass sich uns etwas auftut, was uns fasziniert,
00:28:06: was uns begeistert, was uns irgendwo einnimmt
00:28:09: und uns zu anderen Menschen macht,
00:28:11: als die, die wir vorher gewesen wären.
00:28:13: Ja, das stimmt, aber ...
00:28:16: Wir bleiben nicht dieselben, wenn wir das tun.
00:28:18: Ja, absolut.
00:28:19: Da gehe ich mit dir völlig einig.
00:28:22: Vielleicht dürfen wir uns da nicht zu sehr
00:28:24: oder zu lange mit aufhalten.
00:28:26: Mir ist, ich bin da ganz bei dir,
00:28:28: mir ist einfach dieses Moment noch wichtig,
00:28:32: dass es eben eine Entwicklung ist,
00:28:34: in der ich ganz selber als Subjekt,
00:28:38: als Individuum an der ich beteiligt bin
00:28:41: und eine Entwicklung,
00:28:42: in der ich mich auch ein Stück weit noch einmal verschließen könnte.
00:28:46: Also, ich verstehe ja auch den Glauben,
00:28:49: die Glaubensgeschichte.
00:28:50: Ich verstehe ja, ich hab ja auch nicht irgendwann ...
00:28:54: Ich sowieso nicht, ich bin ja christlich aufgewachsen,
00:28:57: aber ich hab nicht irgendwann Argumente für und gegen den Glauben
00:29:00: gegeneinander abgewogen und bin zum Schluss gekommen,
00:29:03: okay, Christentum hat drei Punkte mehr als Atheismus.
00:29:07: Ich werde Christ, sondern da ist mir ja etwas widerfahren.
00:29:10: Ist die Güte Gottes, die Zuwendung Gottes, die Gnade Gottes irgendwie ...
00:29:14: Ich hab das gespürt, ich hab gemerkt,
00:29:16: dass das hat sich mir als wahr aufgedrängt irgendwie.
00:29:20: Und so verstehe ich auch den Glauben,
00:29:22: die Rede von "Ich habe mich bekehrt",
00:29:24: würde ich nur noch quasi in Anführungs- und Schlusszeichen
00:29:28: unterschreiben, weil es doch etwas ist,
00:29:30: dass mir auch ganz stark widerfahren ist
00:29:33: und wo ich mich quasi in einer Geschichte Gottes
00:29:37: mit mir wiedergefunden habe.
00:29:39: Und doch würde ich sagen, es bleibt mir ein Stück weit auch offen,
00:29:44: mich dieser Gegenwart und Gnade Gottes
00:29:48: auch immer wieder zu verschließen.
00:29:50: Also, und ich hab das ja auch immer wieder erlebt,
00:29:53: dass ich quasi dann, dass ich mich Gott gegenüber
00:29:57: oder um das wieder auf andere Kontexte anzuwenden,
00:30:00: auch meiner Frau oder meinen Kindern gegenüber,
00:30:02: auch ein Stück weit verschließen kann,
00:30:05: dass ich zurückblicken kann auf eine Zeit, wo ich sagen muss,
00:30:08: jetzt eigentlich, da hab ich meinen Kindern oder meiner Frau
00:30:12: nicht den Stellenwert gegeben, den sie eigentlich verdient haben
00:30:16: und den ich ihnen eigentlich geben möchte.
00:30:18: Ich bin nicht dieser Vater oder dieser Ehemann gewesen,
00:30:23: der ich eigentlich sein wollte.
00:30:26: Weißt du? - Ja, nur eine Rückfrage, damit ich es richtig verstehe.
00:30:29: Würdest du das jetzt als Freiheit beschreiben
00:30:32: oder als eine Bilanz, dass du hinter deinen Erwartungen
00:30:37: zurückgeblieben bist und deine Freiheit gerade nicht umgesetzt hast?
00:30:41: Ja, ich würde auf jeden Fall sagen,
00:30:44: ich würde das ja dann bereuen,
00:30:46: dass ich mich diesen Menschen
00:30:50: oder der Gegenwart Gottes verschlossen habe
00:30:53: und würde sagen, ich hätte das auch anders tun können.
00:30:58: Ja, klar. Also, das auf jeden Fall, das ist unummerkbar.
00:31:01: Also, das ist das Freiheit-Moment für mich quasi.
00:31:03: Ja, aber das ist ja noch abstrakt.
00:31:06: Die Frage ist doch, wenn du jetzt auf diese Zeit zurückblickst,
00:31:09: würde es sagen, da habe ich Freiheit realisiert
00:31:11: oder würde es sagen, ich habe meine Freiheit falsch gebraucht
00:31:15: und ich habe mich in eine Unfreiheit zum Beispiel geführt.
00:31:18: Ja, also ich finde das eine gute Frage
00:31:21: und es ist mehr als eine Spitzfindigkeit,
00:31:23: auch wenn man hier natürlich auf den Freiheitsbegriff wieder abhebt
00:31:28: und es sehr darauf ankommt, wie man den bestimmt.
00:31:32: Ich würde dann sagen, ich habe ein Stück weit einen,
00:31:35: ich habe meine Freiheit im Namen der Freiheit geopfert quasi.
00:31:41: Ich habe das Gefühl gehabt, ich bin ...
00:31:44: Ich habe mich frei dafür entschieden
00:31:50: oder dazu hinreißen lassen,
00:31:52: mich derart in meiner Arbeit zu vergraben,
00:31:55: dass ich eigentlich mich selbst als diese freie Person,
00:32:01: die ich in Beziehung zu meiner Frau und meinen Kindern sein will,
00:32:05: verleugnet oder verloren habe.
00:32:07: Ja, also ...
00:32:10: Das kann ich gut verstehen.
00:32:12: Ich hatte vor den Sommerferien eine Zeit,
00:32:14: wo ich einfach zu viel gearbeitet habe.
00:32:17: Man könnte schon sagen, meine Freiheit bestand darin,
00:32:20: dass du tun, obwohl ich Familie und andere Beziehungen hatte.
00:32:23: Das kann man schon als Freiheit beschreiben,
00:32:25: nur würde ich mich total weigern, zu sagen,
00:32:28: dass das eine Zeit war, in der ich meine Freiheit realisiert habe.
00:32:31: Ich würde sagen, es ist eine Zeit,
00:32:33: in der ich gerade nicht getragen habe, was ich tun wollte.
00:32:37: Ja, good point.
00:32:38: Also es gibt quasi Momente oder Phasen oder Entscheidungen
00:32:42: in unserem Leben, in denen wir ...
00:32:45: Eigentlich nicht unsere Freiheit betätigen,
00:32:49: sondern unsere Freiheit ...
00:32:51: Oder die freie Person, die wir sein wollen,
00:32:55: eigentlich verlieren.
00:32:57: Hast du Geduld für eine etwas komplizierte These?
00:33:01: Ja, wenn wir noch auf die konkreten ...
00:33:05: Ja, machen wir gleich.
00:33:06: Aber es geht mir darum,
00:33:08: vielleicht ist es hilfreich,
00:33:10: um dann weitere konkrete Beispiele zu diskutieren.
00:33:13: Ich sage mal so.
00:33:15: Wenn das, was wir jetzt gerade beschrieben haben,
00:33:20: als Erfahrung,
00:33:22: nicht als Freiheit mit dem eigentlichen Sinn
00:33:25: gedeutet werden muss,
00:33:27: könnten wir ja immer noch sagen,
00:33:29: es gibt aber so etwas wie eine Wahlfreiheit,
00:33:34: die davor liegt.
00:33:35: Und man kann da auch die Wahl treffen,
00:33:38: sich in Unfreiheit zu begeben.
00:33:40: Oder so, ganz kundlich.
00:33:42: Wenn das jetzt so ein christliches Sprachspiel überträgt,
00:33:46: dann könnte man sagen, ich habe die Freiheit zu sündigen.
00:33:50: Also quasi nicht das zu tun, was ich eigentlich tun möchte.
00:33:53: Ja. - Paulinisch gesprochen.
00:33:55: Genau. - Ja.
00:33:56: Und jetzt, wenn ich das übertrage
00:33:58: auf diese negative und positive Freiheit,
00:34:02: die uns ja quasi vorgegeben ist, zu besprechen, oder?
00:34:05: Dann könnte man sagen, na ja,
00:34:07: die negative Freiheit wäre eigentlich das Äquivalent,
00:34:11: dass ich sündigen kann.
00:34:13: Mhm.
00:34:15: Und ich tue jetzt die These mal weiter aus.
00:34:18: Und wenn diese negative Freiheit riesig ist,
00:34:21: ich habe eine gigantische Freiheit zu sündigen,
00:34:24: dann verliere ich plötzlich aus dem Blick,
00:34:26: was ich eigentlich tun möchte.
00:34:28: Ich ziehe jetzt mal, also ich spitze jetzt mal die These zu,
00:34:32: unser Kollegen aus Freiburg. - Ja.
00:34:34: Also quasi wir haben ein Übermaß an Möglichkeit zu sündigen.
00:34:40: Und eine Unterbestimmtheit an Ideen, Visionen und Motiven
00:34:47: eines guten und gelingenden Lebens.
00:34:50: Ich sage es jetzt mal so.
00:34:52: Das, was wir aber jetzt gerade herausgefunden haben
00:34:55: bei allen wirklich lebensweltlichen Beispielen,
00:34:58: die wir jetzt durchgegangen sind, also Partnerwahl, Kinder,
00:35:00: Umgang mit Kindern, Kindererziehung, etc.
00:35:03: Das waren ja gerade Nichtpunkte,
00:35:05: dass wir quasi gesagt haben, oh, sieh mal an,
00:35:09: ich habe die Möglichkeit, eine verheiratete Frau zu daten.
00:35:13: Und ich könnte mir die auch noch mal eine Familie gründen.
00:35:16: Dann mache ich das doch jetzt.
00:35:20: Sondern es war doch viel eher so,
00:35:22: dass etwas uns widerfährt biografisch im Leben,
00:35:26: in das wir uns hineinleben.
00:35:29: Und die negative Freiheit ist eigentlich gar kein Thema,
00:35:36: dass darin aktiv vorkommt.
00:35:38: Also negative Freiheit spielt so lange keine Rolle,
00:35:42: wie sie nicht das begrenzt, was wir gerade erleben.
00:35:46: Oder das, was wir in Beziehungen sein wollen.
00:35:50: Ja. - Wenn das stimmt,
00:35:53: dann wäre es zum Beispiel eine ganz falsche Vorstellung,
00:35:56: die ich aber schon glaube,
00:35:58: dass man sie jetzt zum Beispiel im Talk mit Johannes Hartl auch hören konnte,
00:36:02: dass man befürchtet,
00:36:04: dass ein Übermaß an negativer Freiheit
00:36:07: zu einem Orientierungsverlust in der Lebensführung beitragen könnte.
00:36:13: Weil es ja nicht so ist,
00:36:14: dass du quasi wie auf einem unfassbar großen Fußballfeld stehst
00:36:18: und jetzt nicht mehr weißt, wo du den Ball hinspielen sollst.
00:36:21: Sondern du bist eigentlich ständig in einem Passspiel mit anderen
00:36:24: und plötzlich siehst du die Seitenlinie als Begrenzung.
00:36:28: Das ist ja eigentlich das, was das Leben ist.
00:36:30: Und nicht du alleine auf einem riesen Feld an Möglichkeiten.
00:36:34: Ja.
00:36:36: Wenn das aber zutrifft,
00:36:38: dann gibt es eigentlich keine Korrelation
00:36:41: zwischen dem Maß negativer Freiheit
00:36:45: und der Herausforderung,
00:36:47: sich selbst im Leben zu orientieren und sich eine Bestimmtheit zu geben.
00:36:52: Ja, also ...
00:36:55: Ja, also von der negativen Freiheit zur positiven hin,
00:37:00: nicht unbedingt, aber eben rückwärts eben schon.
00:37:03: Also quasi die Idee, also ...
00:37:05: Das Bedürfnis des Menschen,
00:37:08: sich selbst zu verwirklichen, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten,
00:37:13: nach eigenen Werten und Zielen.
00:37:15: Das kann eben dazu führen, dass der Mensch merkt,
00:37:18: ja, aber ich kann das ja gar nicht, in der Gesellschaft, in der wir leben,
00:37:22: merkt dann irgendwie eine ... von mir aus für lange Zeit,
00:37:26: merkt eine Frau mit unglaublicher intellektueller Begabung
00:37:30: und unglaublicher Bildungslust und Lernei vermerkt.
00:37:35: Ja, ich kann ja nicht mal studieren.
00:37:38: Zeitlang war das gar nicht möglich,
00:37:40: oder ich hab keine Aussicht auf eine Professur,
00:37:43: weil da all die Männer sitzen und sich an ihren Stühlen klammern.
00:37:49: Und dann stößt sie sich eben aufgrund eines positiven
00:37:54: Selbstverwirklichungswunsches, stößt sie sich an dem Mangel,
00:37:58: an negativer Freiheit, also an Berufsfreiheit, und so weiter.
00:38:02: Und dann stößt sie an diese Grenzen.
00:38:04: Und wenn das gesellschaftlich passiert, dann werden dann eben
00:38:08: solche Freiheiten errungen.
00:38:10: Ja, ganz genau. Aber das ist ...
00:38:12: Ich find das genau mein These.
00:38:14: Du bist völlig auf dem Punkt.
00:38:16: Der Weg geht nicht vom übermaßt negativer Freiheit
00:38:20: zu einer Orientierungslosigkeit,
00:38:22: die einen gesteigerten Bedarf an positiven Freiheiten hat.
00:38:26: Das ist genau umgekehrt.
00:38:27: Erst dort, wo wir in der Realisierung unseres Lebens
00:38:31: an Grenzen positiver Freiheiten
00:38:34: durch negative Freiheit stoßen,
00:38:37: wird die negative Freiheit überhaupt zum Thema.
00:38:40: Also, ja, es ist nicht so,
00:38:43: dass ein Mensch quasi aufwächst in dieser Gesellschaft und sagt,
00:38:47: "Ha, wir haben ja ganz coole Transgender-Rechte,
00:38:51: die erstritten worden sind.
00:38:52: Ich könnte ja mal selbst mir vornehmen,
00:38:55: jetzt Transgender zu sein."
00:38:57: Oh, und jetzt bin ich ganz orientierungslos und ...
00:39:00: Puh, jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, was tun.
00:39:03: Und wer bin ich eigentlich und, hoho, ich hab Orientierungsbedarf?
00:39:06: Das ist doch immer nur der andere Fall,
00:39:08: dass man in der nicht privilegierten Situation
00:39:12: seine positive Freiheit realisieren zu können.
00:39:15: Also, wer es eben nicht darf,
00:39:17: also wer nicht sagen kann,
00:39:19: ich möchte gerne eine queere Lebensform als Beispiel leben,
00:39:24: weil ich in einem schlimmen Staat wie Russland lebe,
00:39:28: wo das verfolgt wird, zum Beispiel,
00:39:30: der stößt an eine Grenze negativer Freiheit
00:39:35: und erst das ist das Problem.
00:39:37: Es ist nie umgekehrt ein Problem.
00:39:39: Es gibt nicht ein zu viel an Freiheit.
00:39:41: Also, ja, Stefan, man kann doch jetzt diese Beobachtung,
00:39:44: also von der Genese her, würde ich das genauso unterschreiben.
00:39:48: Ich glaub, alle negativen Freiheiten sind errungen
00:39:53: aufgrund des Bedürfnisses von Menschen,
00:39:55: ihre positiven Freiheiten verwirklichen zu können.
00:39:59: Und das kann man auch in der ganzen Geschichte des Liberalismus
00:40:03: wirklich bis in den Französischen Absolutismus zurückverfolgen,
00:40:06: in dem Leute irgendwann gesagt haben,
00:40:08: so jetzt ist aber mal Schluss mit der staatlichen und kirchlichen
00:40:12: Bevormundung, wir haben positive Ziele,
00:40:14: die wir quasi verwirklichen wollen als Bürgerinnen und Bürger.
00:40:18: Aber man kann das ja schon einpassen,
00:40:20: diese Einsicht in eine Emanzipationsgeschichte,
00:40:23: in der immer mehr negative Freiheiten errungen werden,
00:40:26: also freie Berufswahl, Abschaffung der Ständeorten.
00:40:30: Man kann jeder quasi sich in der freien Wirtschaft betätigen
00:40:34: und so weiter, ganz viele negative Freiheiten.
00:40:38: Und bis hin zu dem, was wir heute die Multi-Optionsgesellschaft nennen.
00:40:44: Und da gibt es ja dann schon auch durchaus empirisch ernstzunehmende
00:40:48: Untersuchungen jetzt, Barry Schwartz,
00:40:51: der dieses berühmte Buch "The Paradox of Choice" geschrieben hat,
00:40:54: wo er versucht, dieses spätmoderne Bewusstsein nachzuzeichnen.
00:40:59: Wir haben alle möglichen Freiheiten,
00:41:01: wir haben alle möglichen Optionen.
00:41:03: Es ist eigentlich mindestens theoretisch,
00:41:06: ist eigentlich praktisch nichts mehr festgelegt.
00:41:09: Du kannst irgendwie eben theoretisch alles werden,
00:41:14: jeden Beruf ergreifen, jedes Studium wählen, jeden Partner,
00:41:19: dich für jeden Partner entscheiden,
00:41:21: du hast alle möglichen Freiheiten.
00:41:23: Und dann die Beobachtung, dass viele Leute
00:41:26: mit dieser Fülle an Optionen überfordert sind
00:41:29: und tatsächlich ein Orientierungsverlust erleiden,
00:41:34: so wie ich das vielleicht im Supermarkt habe,
00:41:37: wenn ich nicht bei vollen geistigen Kräften bin
00:41:40: und dann mit dem Einkaufswagen wie ein Irre
00:41:44: durch diese Gestelle eilen und mich nicht entscheiden kann,
00:41:48: ob der Fülle an Möglichkeiten.
00:41:51: Und das gilt ja für Lebensentscheidungen,
00:41:54: für Partnerschaftsentwürfe, für Weltanschauungen usw.
00:41:58: Die Auswahlmöglichkeiten sind unendlich
00:42:01: und viele Menschen sind ja dann tatsächlich überfordert damit
00:42:05: und haben ein substanzielles Orientierungsbedürfnis.
00:42:10: Weißt du, das kann es ja schon gehen.
00:42:12: Das halte ich für falsch.
00:42:14: Ich glaube, dass hier zwei Dinge zusammengemixt werden,
00:42:17: die wirklich nicht zusammengehören.
00:42:19: Das eine wäre auf der Ebene der Wahlfreiheit.
00:42:22: Da gebe ich dir recht.
00:42:23: Wenn es so ist, dass ich im Supermarkt bin
00:42:26: und ich habe 620 verschiedene Schockhochriegel,
00:42:28: dann hört der Spaß auf.
00:42:30: Ja, das verstehe ich.
00:42:33: Aber die Beispiele, die ja wirklich wichtig sind
00:42:36: und wo es um das geht, was wir im echten Sinn
00:42:40: als positive Freiheiten mein würden,
00:42:43: also das Recht nach seinen religiösen Überzeugungen zu leben,
00:42:47: zum Beispiel.
00:42:49: Das Recht nach Glück zu streben und das auf seine Art umzusetzen.
00:42:54: Das sind ja keine Wahlfreiheiten.
00:42:57: Ich wähle ja nicht zwischen verschiedenen Angeboten auf dem Markt,
00:43:01: der Sinnangebote aus.
00:43:04: Das ist ja einfach eine sociologisch verkopfte Darstellung,
00:43:08: die quasi unter einem Marktparadigma unsere Welt einordnen will.
00:43:13: Dann in der Realität ist es doch so,
00:43:16: dass ich als Mensch mich in etwas hinein lebe, etwas erlebe
00:43:21: und damit eine Identität ausbeide.
00:43:25: Also der Mensch, der zum Beispiel sagt,
00:43:28: "Hey, ich verstehe mich als non-binär."
00:43:31: Der trifft auch nicht eine Wahl aus verschiedenen Kästchen,
00:43:35: die er mal durchgeht und ich sage,
00:43:37: "Passt das, passt das, ich lege mich jetzt mal auf das fest."
00:43:41: Sondern da ist doch ein Erlebenshintergrund,
00:43:45: eine Identität, ein Verständnis von sich selbst als Mensch dahinter.
00:43:49: Und das ist gerade nicht die Situation vor dem Supermarktregal,
00:43:53: die dazu führt, sondern das sind Beziehungen,
00:43:57: Kontakte und Deutungen von diesen Beziehungen
00:44:00: und der eigenen Person in dieser Beziehung, die dazu führen.
00:44:04: Ich glaube, das wäre total unterbestimmt,
00:44:07: aber das ist nur, weil wir viele Rechte haben,
00:44:10: haben wir jetzt ein Orientierungskaus.
00:44:12: Viele Rechte, viele Möglichkeiten,
00:44:20: sich selbst zu verwirklichen.
00:44:23: Und ich, also ich hab ein bisschen Mühe,
00:44:27: ich glaube, ich versch...
00:44:28: Also natürlich bei dem Beispiel jetzt,
00:44:30: das würde ich ja auch ganz, um das gerade mal aus dem Weg zu räumen,
00:44:34: das würde ich jetzt natürlich ganz sicher nicht behaupten,
00:44:37: einfach aus Freude und Lustigkeit das Gefühl haben,
00:44:39: ach, ich bin doch jetzt mal trans oder so.
00:44:42: Oder einfach, weil das jetzt quasi auf dem Menüplan
00:44:45: der geschlechtlichen sexuellen und so weiter Identitäten steht,
00:44:50: wähle ich das mal aus.
00:44:51: Das ist natürlich nicht der Fall.
00:44:53: Da kommt ja auch das wieder, was wir als Widerfahrendes
00:44:57: des Lebens besprochen haben.
00:44:59: Menschen finden sich wieder in einem Leben, in einem selbst,
00:45:03: dass jetzt queer ist.
00:45:06: Oder sie finden sich,
00:45:08: die entscheiden sich nicht, irgendwie schwul zu werden,
00:45:11: sondern finden sich wieder als schwule Männer
00:45:14: und müssen damit jetzt zurechtkommen.
00:45:17: Früher waren halt viele dieser
00:45:21: Selbstbestimmungs- und Selbstentdeckungszusammenhänge
00:45:28: halt irgendwo gar nicht auf dem Schirm.
00:45:32: Und da haben Leute dann entsprechend darunter gelitten,
00:45:36: weil es keine Begriffe gab, um das zu beschreiben
00:45:39: und auch keine gesellschaftlichen Freiheiten das zu leben.
00:45:42: Das gab keine Öffentlichkeit, die das sein durfte.
00:45:44: Genau. Also das würde ich natürlich unterschreiben.
00:45:47: Aber das, die spätmoderne mit einem Überschwang
00:45:54: an wenigstens theoretischen Möglichkeiten,
00:45:58: sein Leben zu gestalten, seine Werte zu bestimmen und so weiter,
00:46:03: dass das auch Unsicherheit schafft,
00:46:06: schon alleine die Frage der Rollengebung.
00:46:11: Und wieder, ich sehe nämlich ja nicht nach früheren Zeiten zurück.
00:46:15: Ich will gar nicht das wegstellen.
00:46:17: Ja, das ist ganz sicher nicht der Fall.
00:46:20: Aber viele Fragen, die heute einen spätmodernen Zeitgenossen
00:46:26: oder eine spätmoderne Zeit genoss,
00:46:28: irgendwo bewältigen und bewegen muss,
00:46:31: haben sich halt lange Zeit gar nicht gestellt.
00:46:34: Wenn irgendwo klar war,
00:46:35: traditionelles bürgerliches Familienmodell,
00:46:38: die Frau bringt drei, vier, fünf Kinder zur Welt,
00:46:41: findet ihre Erfüllung als Mutter in dieser Berufung.
00:46:45: Und der Mann macht seinen Job und ernährt seine Familie
00:46:50: und fühlt seine Rolle als Haupt der Familie außen so.
00:46:54: Wenn das klar ist,
00:46:55: dann ist auch irgendwo etwas ganz Entscheidendes
00:46:58: für einen Lebensentwurf geklärt.
00:47:01: Und wenn das nicht mehr klar ist,
00:47:03: und man merkt, ja, aber da gibt's ja gar nicht,
00:47:06: man könnte das auch ganz anders machen, man könnte Rollen tauschen,
00:47:10: man könnte eine offene Beziehung, man könnte Patchwork,
00:47:13: ich sage auch hier nicht,
00:47:15: dass sich die Leute auf dem grünen Tisch dafür entscheiden,
00:47:19: aber es ist doch die Möglichkeiten der Lebensgestaltung
00:47:22: so breit diversifiziert,
00:47:24: dass es schon auch Verunsicherungen auslösen kann.
00:47:27: Also das ist doch die Sicherheit.
00:47:29: Mein Problem damit ist, wenn ich will,
00:47:31: ich will Ihnen nichts unterstellen,
00:47:33: aber ich hab Johannes Hartle im Gespräch mit Glaube und Gesellschaft
00:47:37: ein bisschen in die Richtung verstanden
00:47:40: und ich spitz das jetzt vielleicht zu,
00:47:42: und ich hoffe, es ist fair, was ich mach.
00:47:44: Dass er sagen würde, na ja, weil so eigentlich führt diese Freiheit,
00:47:49: selbst sein Geschlecht und die sexuelle Orientierung
00:47:52: und das auch wieder zu ändern etc.,
00:47:54: zu einer derart starken Fokussierung auf dieses Thema,
00:47:58: dass eine größere Unfreiheit damit in die Welt kommt.
00:48:02: So als Thesen.
00:48:03: Oder am Beispiel der Kindererziehung.
00:48:07: Ja, indem wir unseren Kindern möglichst große Freiheit geben wollen,
00:48:12: verpassen wir eigentlich das, was unsere Aufgabe ist
00:48:16: und sie überhaupt erst freiheitsfähig macht,
00:48:19: nämlich echte Erziehung,
00:48:21: die Vermittlung von dem, was uns wirklich wichtig ist
00:48:24: und die Weitergabe unserer Werte etc.
00:48:26: Das ist so das Bild, an dem ich mich jetzt gerade abarbeitet.
00:48:30: Und da würde ich aber sagen, da ist der übervolle Supermarkt
00:48:36: mit 40 gleichen Artikeln aus derselben Kategorie
00:48:41: einfach das denkbar schlechteste Bild dafür,
00:48:44: weil Menschen weder in der Kindererziehung
00:48:47: noch in der Wahl ihrer Partner,
00:48:50: noch in ihrer Identitätsfrage,
00:48:54: also wer oder was oder mit wem oder mit was oder etc.,
00:48:59: sie sich verstehen,
00:49:01: dass quasi als eine Wahl verstehen,
00:49:04: wie eine Auswahl auf der Speisekarte.
00:49:07: Sondern das sind realisierte Beziehungen,
00:49:12: die sie deuten und die sie leben
00:49:15: und zu denen sie sich bekennen wollen,
00:49:18: die an Grenzen stoßen unnötiger Unfreiheiten
00:49:21: oder mindestens von Unfreiheiten, die hinterfragt werden müssen.
00:49:25: Und das, glaube ich, müsste man als erstes
00:49:28: einfach mal ganz prinzipiell unterscheiden.
00:49:32: Ja, das wäre mir mal wichtig da.
00:49:34: Und jetzt, wenn wir über die Frage positiver
00:49:39: Freiheiten nachdenken,
00:49:42: dann meine ich einfach,
00:49:45: die sind eigentlich dort, wo sie wirklich bedeutend sind,
00:49:50: gerade dadurch gekennzeichnet,
00:49:52: dass wir sie nicht als Wahl bestimmen würden.
00:49:56: Also wir sprechen,
00:49:58: natürlich oder Teenager denken manchmal
00:50:01: über die Partnerwahl, so nach wie über den Schuhkauf.
00:50:05: Also wer passt, werde ich mal ein passendes Paar Schuhe finden,
00:50:09: werde ich mal den passenden Partner, also so, oder?
00:50:12: Ja, ja, so Dating-Apps wie Tinder und so funktionieren
00:50:15: natürlich schon wenigstens vordergründig nach genau dieser Logik.
00:50:18: Leistweit, rechtsweit, links, passt nicht und so.
00:50:22: Aber wer in der Beziehung war, weiß ja,
00:50:24: dass das genau nicht die Art und Weise ist, wie es funktioniert.
00:50:28: Und das ist, ich glaube, auch Menschen,
00:50:32: die sich über Dating-Apps kennengelernt haben,
00:50:34: werden nach zwei Jahren Beziehung nicht die Geschichte erzählen.
00:50:38: Ja, das war ein Algorithmus, der hat das gut gemerkt
00:50:40: und du, wir kommen gar nicht schlecht klar.
00:50:43: Sondern jede dieser Beziehungen, wenn sie erzählt wird,
00:50:48: hat so was wie ein Widerfahrenskarakter in ihm.
00:50:51: Ja.
00:50:52: Und jetzt, warum ich das alles aushol, es gibt mir darum,
00:50:57: ich finde diese These oder diese Gegenüberstellung
00:51:00: von positiver und negativer Freiheit hat tendenziell etwas Gefährliches,
00:51:06: also sie kann sehr leicht reaktionär werden.
00:51:10: Nämlich reaktionär, indem man sagt, ja, schaut mal,
00:51:13: wo hat uns eigentlich diese Moderne hingebracht?
00:51:16: Zu was hat das geführt?
00:51:19: Jetzt ist alles erlaubt, anything goes,
00:51:22: aber niemand mehr weiß, was er eigentlich will.
00:51:24: So könnte man das ein bisschen, das spüre ich auch ein bisschen heraus,
00:51:28: im Freiheitsprojekt, ich will da niemandem unrecht tun,
00:51:32: aber diese, ein bisschen auch kulturpessimistische,
00:51:35: antimoderne Haltung habe ich zwischen den Zeilen, meine ich, herauszuspülen.
00:51:40: Und das, was doch aber der eigentliche Gegner ist,
00:51:43: auf den wir gestoßen sind, wenn wir das,
00:51:45: beispielsweise lebensfältig diskutieren,
00:51:48: sind doch eher die Verökonomisierungen dieser Beziehungen,
00:51:52: in denen wir leben.
00:51:54: Also dass man sich fragt, lohnt es sich überhaupt,
00:51:56: jemanden zu heiraten oder soll ich nicht lieber
00:51:59: für alle Möglichkeiten offen bleiben?
00:52:01: Aber das hat nichts mit der negativen Freiheit zu tun.
00:52:04: Ja.
00:52:05: Und die Vorstellung, dass man quasi sagt,
00:52:08: ja, dadurch, dass so etwas wie Scheidung jetzt erlaubt ist
00:52:12: und nicht so soziale Echtung führt,
00:52:14: ist das ganze Leben viel komplizierter geworden,
00:52:17: das halte ich für Bahnunsinn.
00:52:18: Also das hat auch niemand gesagt dort, aber ich meine,
00:52:20: das wäre jetzt eine Rolle weiter oder wie man es drehen könnte.
00:52:24: Wenn man sagt, es hat zu wahnsinnigen Komplikationen geführt,
00:52:28: nein, ich glaube nur, die Komplikationen sind sichtbarer geworden.
00:52:31: Früher mussten sie einfach ausgehalten werden in diesen Ehen,
00:52:35: die sicher nicht einfach immer nur gewaltarm waren, oder?
00:52:39: Ja, ja.
00:52:40: Oder, dass es nicht mehr quasi Nachteile hat,
00:52:45: religionsfrei zu sein.
00:52:47: Also dass es okay ist, nicht zu einer christlichen Kirche zu gehören.
00:52:51: Das hat nicht einfach negative Folgen für die Menschen überhaupt nicht,
00:52:55: sondern das bringt uns dazu darüber nachzudenken,
00:52:58: na ja, was ist denn das, was eigentlich diesen Glauben
00:53:01: oder diese Glaubensgemeinschaft so wertvoll macht,
00:53:04: dass Menschen darin wirklich etwas erfahren und erleben,
00:53:07: was für sie so wichtig ist, dass sie aus freien Stücken dabei sind?
00:53:10: Ja, ja.
00:53:11: Ich habe eine These, mal schauen, ob du mit der besser leben kannst.
00:53:17: Ich versuche das so zusammenzudenken.
00:53:19: Könnte man vielleicht sagen, dass, wenn wir sagen,
00:53:23: ja, aber bei den wirklich wichtigen Dingen,
00:53:26: geht es nicht einfach um eine blanke Indifferenzfreiheit,
00:53:30: um eine blanke Entscheidung quasi A oder B,
00:53:32: sondern da ist etwas, was mir wieder fährt, drin enthalten.
00:53:36: Könnte man vielleicht sagen, dass der Raum
00:53:40: möglicher oder denkmöglicher Wiederfahrenisse
00:53:45: ausgeweitet wird, wenn negative Freiheiten errungen werden.
00:53:50: Also, was ich damit meine, ist,
00:53:53: es hat in Zeiten, in denen die Rollenverständnisse klar waren,
00:54:00: bürgerlich festgesetzt waren,
00:54:02: in Zeiten, in denen Frauen ganz viele Möglichkeiten gar nicht haben.
00:54:07: Da ich sage nicht, Frauen wären glücklicher gewesen
00:54:09: in diesem Arrangement, aber dass Wiederfahrenisse
00:54:13: nicht in einer heterosexuellen Beziehung zu leben
00:54:19: und Familie zu gründen, die quasi ...
00:54:22: Das war gar nicht denkmöglich.
00:54:24: Das war gar nicht ...
00:54:26: Also, man hat ...
00:54:28: Man ist vielleicht nicht glücklich gewesen
00:54:31: in dem Arrangement, in dem man gelebt hat.
00:54:33: Aber erst, wenn negative Freiheiten errungen werden
00:54:38: und es möglich ist, auch ...
00:54:41: Ich hab zum Beispiel, ich hab das schon ein paar Mal gehört,
00:54:44: auch von Müttern, dass sie sagen,
00:54:46: "Du, ich hab das gemerkt mit den Kindern,
00:54:48: ich bin einfach nicht die geborene Mutter."
00:54:50: "Ich bereue es nicht, dass wir Kinder hatten."
00:54:53: Aber ich geh nicht auf in dieser Rolle.
00:54:56: Ich hab gemerkt, ich muss irgendwie ...
00:54:58: Ich muss was anderes auch noch dazu machen können.
00:55:01: Ich muss meinen Beruf ausüben können.
00:55:04: Ich muss irgendwie die Kinder auch mal Teilzeit abgeben können.
00:55:07: Ich bin nicht aufgegangen in dieser Rolle, so, oder?
00:55:10: Und diese ...
00:55:12: Das ist ja etwas ...
00:55:14: Das ist ja auch nicht etwas, wo sich diese Personen dann für entschieden haben.
00:55:19: So quasi, ich will jetzt in dieser Mutterrolle
00:55:22: nicht nach traditioneller Vorgabe glücklich werden,
00:55:25: sondern sie haben gemerkt, das sind sie einfach nicht.
00:55:28: Aber diese Erfahrung stand ja Frauen früherer Zeiten gar nicht offen.
00:55:34: Also, ich muss ja ein bisschen schmunzen, ne?
00:55:37: Das sind solche Beispiele, wo man sagen muss, ja ...
00:55:41: Tatsächlich gab es Zeiten, in denen ein Nachdenken
00:55:45: über diese Frage für viele Menschen schlicht sinnlos war.
00:55:50: Weil sie gar nicht die Fantasie oder den Horizont hatten,
00:55:53: eine andere Möglichkeit zu sind.
00:55:55: Nur, heute müssen wir uns doch fragen,
00:55:57: wenn jemand sagt, ich hab gemerkt, ich bin nicht die geborene Mutter,
00:56:01: kann man sich auch mal fragen, was sagt das über das Bild von Mutterschaft,
00:56:05: dass in unserer Kultur normativ transportiert wird?
00:56:08: Ja, ja. - Weil ganz offensichtlich ist sie ja eine Mutter.
00:56:12: Ja, aber ich hab jetzt natürlich
00:56:14: diese traditionelle bürgerliche Mutterrolle abgehoben.
00:56:17: Ich versuch nur, deine These stark zu machen.
00:56:19: Und das Tolle ist ja jetzt in einem Wachs, negativer Freiheit.
00:56:23: Dass sie nicht darauf festgelegt wird, wie sie das tun muss.
00:56:26: Am besten noch in Verbindung mit positiver Freiheit,
00:56:29: wo es so was wie Kitas und Mittagstische und so was gibt,
00:56:33: kann sich ja fragen, ja, aber wie könnte ich denn Mutter sein,
00:56:36: so gestalten, dass es für mich und meine Kinder stimmt?
00:56:39: Welche Rolle müsste eigentlich mein Mann,
00:56:42: meine Partnerin, übernehmen? - Nein.
00:56:44: Das sind ja jetzt alles Dinge, wo wir plötzlich
00:56:47: nicht mehr Sachen einfach erdulden müssen,
00:56:50: sondern wo wir in Beziehungen, und das finde ich halt so wichtig,
00:56:55: Freiheit so realisieren können, dass sie tragfähiger werden.
00:56:59: Ja, genau. Aber worauf es mir ankommt, ist quasi die Denkmöglichkeit
00:57:03: oder dieses Zugeständnis einer Mutter.
00:57:06: Ich pass nicht in dieses traditionelle Bild, das bin ich einfach nicht.
00:57:11: Diese Denkmöglichkeit, die musste errungen werden
00:57:16: mit negativen Freiheiten, mit der Möglichkeit,
00:57:19: dass eben eine Frau erstens mal gar nicht Mutter werden muss,
00:57:22: dass sie Mutter sein könnte und dann eben arbeiten kann,
00:57:25: dass der Vater sich um die Kinder kümmert
00:57:28: und die Mutter full-time arbeiten.
00:57:30: All das waren ja für lange Zeit gar keine Denkmöglichkeiten.
00:57:34: Das ist wie ein Bauer im Mittelalter, ein hochintelligenter Bauer,
00:57:38: der sagt, ah, diese Arbeit auf dem Feld,
00:57:40: das bin ich einfach nicht. - Ich werde lieber auch so ein.
00:57:43: Ein Gelehrter, oder so.
00:57:45: Kein Bauer hat drunter gelitten, kein Gelehrter sein zu können.
00:57:50: Die waren vielleicht nicht glücklich mit ihrem Bauern sein,
00:57:53: aber die konnten ja gar nicht artikulieren,
00:57:56: was für Alternativen ihr Leben vielleicht geboten hätte,
00:58:01: weil das nicht denkmöglich, das musste zuerst errungen werden,
00:58:05: in Abschaffung der Stände und Bewusstsein.
00:58:07: Das ist doch genau der Punkt.
00:58:10: Das Entscheidende an dieser These ist doch,
00:58:13: dass es nicht so ist,
00:58:15: dass du nächst negative Freiheiten anwachsen.
00:58:19: Ja.
00:58:20: Und dann entsteht ein Vakuum,
00:58:22: dass wir füllen müssen mit positiven Freiheiten,
00:58:25: sondern, das ist eine große Sehnsucht nach positiven Freiheiten.
00:58:29: Und damit diese positiven Freiheiten überhaupt sein können,
00:58:33: müssen negative Freiheiten verwirklich werden.
00:58:37: Also, es ist nicht so, dass es sein kann,
00:58:39: dass wir plötzlich weniger positive Freiheiten haben,
00:58:43: angesichts der wachsen negativen Freiheiten,
00:58:46: sondern negative Freiheiten wachsen nur,
00:58:49: weil positive Freiheiten realisiert werden und entstanden sind.
00:58:54: Ja, aber jetzt lasst mich doch noch einmal auf diesen Punkt kommen.
00:58:58: Das ist doch, das war ja schon bei den großen Vordenkern des Liberalismus.
00:59:03: Auch dann Charles Taylor und so weiter.
00:59:05: War das ja wichtig?
00:59:07: Es geht zentral um die verwirklichen positiver Freiheiten.
00:59:11: Und um positive Freiheiten zu verwirklichen,
00:59:13: muss der Mensch quasi in eine ...
00:59:16: Also, er muss auf einen Weg kommen,
00:59:19: indem er sich selbst kennenlernt,
00:59:22: indem er ... es ist eine Bildungsgeschichte,
00:59:24: die ein Stück weit eingehen muss, um überhaupt herauszufinden,
00:59:28: um herauszudestillieren, was sind denn meine Werte?
00:59:31: Wer bin ich denn überhaupt? Wer will ich sein? Und so weiter.
00:59:35: Und das ist ja eine Errungenschaft,
00:59:37: das ist eine Emanzipationsgeschichte.
00:59:39: Die aber, und jetzt möchte ich das doch noch mal stark machen,
00:59:43: die auch mit einer Verunsicherung einhergehen kann,
00:59:47: die Menschen in früheren Zeiten so nicht gekannt haben.
00:59:50: Dass du, wenn du irgendwie Jungs und Mädchen
00:59:53: in der Primarschule hast, die sich jetzt fragen, was könnte ich werden?
00:59:57: Und in früheren Zeiten war klar, der Sohn des Bauern wird Bauer,
01:00:02: der Sohn des Metzger wird Metzger, die Tochter wird Mutter.
01:00:05: So, da sind viele dieser Selbstfindungsprozesse
01:00:09: und dieser Willensbildungsprozesse
01:00:12: waren ihnen gar nicht aufmerlegt,
01:00:15: weil die negativen Freiheiten dafür gar nicht geschaffen waren.
01:00:18: Und heute sind die da, und das kann doch zu Verunsicherungen führen,
01:00:22: dass eine junge Frau vielleicht an ganz verschiedenen Orten irgendwie,
01:00:27: sie sehen Menschen, die als Mütter unglaublich erfüllt und glücklich werden.
01:00:31: Und sie sehen Leute, die Karriere machen,
01:00:34: die Frauen, die darin Erfüllung finden.
01:00:36: Und sie fragen sich, was bin ich jetzt?
01:00:38: Man muss ja gar nicht immer die Mütter nehmen, man kann Väter.
01:00:42: Es gibt auch große, empfinde ich so, große Verunsicherungen
01:00:45: auch unter Männern, die sich fragen, ja, ich ist jetzt Karriere
01:00:49: und Teilzeit und Familie und ah, und was ist jetzt hier quasi das Ei
01:00:55: des Kolumbus, wo soll ich das durchsteuern?
01:00:58: Und das schafft doch Unsicherheiten,
01:01:00: weil wir so viele mögliche Alternativen haben,
01:01:05: unsere positive Freiheit zu vergeben.
01:01:08: Also mal rein empfiehlt schon,
01:01:10: dass die allermeisten Männer arbeiten mehr als 80 Prozent
01:01:15: in einem System, in dem sie das nicht tun müssten, die allermeisten.
01:01:19: Das ist das erste.
01:01:20: Das nächste, was ich sagen würde, ist,
01:01:23: dass vergangene Generationen nicht die Möglichkeit hatten,
01:01:27: selbstbestimmt sich in etwas zu verwirklichen
01:01:31: und vielleicht nicht mal die Fantasie hatten, sich das auszudenken,
01:01:35: zeigt ja, dass diese moderne und die Emanzipations- und Freiheitsgeschichte
01:01:40: ein totales Erfolgsprodukt ist.
01:01:43: Ist ja etwas Geniales.
01:01:44: Ein Goethe konnte sich überlegen, bin ich heute Maler
01:01:49: oder schreibe ich ein Buch, eine Reise oder besuche ich, ja.
01:01:53: So, oder?
01:01:54: Der konnte das. Also, es war nicht so, dass niemand das konnte.
01:01:58: Und niemand diese Fantasie hatte.
01:02:00: Sondern diese Emanzipationsgeschichte, die Geschichte der Moderne
01:02:05: und der Person, die darin aufkommt,
01:02:08: ist ja zugleich auch eine Demokratisierungsgeschichte
01:02:11: und eine Geschichte, in der mehr Rechte und mehr Gleichheit
01:02:14: und mehr Fairness für viel mehr Menschen realisiert werden.
01:02:18: Das denke ich einfach, das darf man nicht aus den Augen verlieren.
01:02:21: Jetzt kann man sagen, ja, da steigt jetzt durch die Möglichkeit,
01:02:26: die ich habe, auch der Druck, eine Möglichkeit zu wählen.
01:02:29: Ja.
01:02:30: Da bin ich nicht ganz sicher.
01:02:32: Ich glaube eher, es ist so, dass es immer Menschen geben wird,
01:02:35: die damit harten und sagen,
01:02:37: "Ah, hätte ich nicht lieber doch das andere IKEA-Bett gekauft."
01:02:40: Und es sind dann vielleicht auch die, die sich fragen,
01:02:43: "Ah, hätte ich nicht lieber doch Mathematik, Statäologie studiert?"
01:02:47: Es wird es immer geben.
01:02:48: Es gab bestimmt auch schon Bauern, die gesagt haben,
01:02:51: "Ich habe lieber das andere Feld gepachtet
01:02:53: und auf viel Betrieb gesetzt."
01:02:55: Irgendwie so, weißt du?
01:02:56: Es gibt immer Menschen, die sagen, "What if?"
01:03:00: Und ich habe bestimmt das falsche genommen.
01:03:02: Aber das allein ist kein Anlass, negative Freiheit,
01:03:10: einen Zuwachs, negativer Freiheit zu kritisieren.
01:03:13: Das ist auch nicht dein Problem, negativer Freiheit.
01:03:15: Aber das würde ich ja auch nicht.
01:03:17: Ich finde, es ist völlig unbestritten,
01:03:19: wenn man das schafft, ein Handel.
01:03:21: Die negativen Freiheit ist für mich ganz wichtig.
01:03:24: Die wächst nicht dadurch, dass plötzlich neue Ideen
01:03:28: in die Welt kommen, sondern dass wir sagen,
01:03:30: wenn es dem Max zusteht, dass er das und das tun darf.
01:03:35: Und wir verstehen, das ist eine Freiheit, die er braucht.
01:03:39: Dann wollen wir als Gesellschaft so drüber nachdenken,
01:03:42: dass wir uns noch mal fragen,
01:03:44: warum steht das eigentlich nicht allen offen?
01:03:46: Das ist eigentlich der Mechanismus dahinter.
01:03:49: Ich mache es jetzt mit einem ganz plakativen Beispiel.
01:03:52: Nicht nur der Kurfürst darf seine Religion wählen,
01:03:56: sondern jeder Mensch.
01:03:58: Nicht nur Heinrich VIII darf sich scheiden lassen,
01:04:02: sondern jeder Bürger.
01:04:04: Das sind doch Dinge, die unser Leben ...
01:04:09: Also, wir entschieden dafür, nicht komplizierter gemacht haben,
01:04:13: sondern die uns Freiräume eröffnet haben,
01:04:17: Probleme auf anderen Ebenen zu lösen.
01:04:21: Ich mache ein Beispiel jetzt mit dir, Manu.
01:04:23: Du kannst auch rausstreichen, wenn es dir zu persönlich ist,
01:04:27: und du es doof findest.
01:04:28: Aber du bist lange, lange verheiratet.
01:04:32: Und du weißt, wie es ist, verheiratet zu sein,
01:04:35: als Pastor in einer Freikirche.
01:04:37: Und du weißt, wie es ist, verheiratet zu sein,
01:04:40: als Angestellter einer liberalen, reformierten Landeskirche.
01:04:44: Da geht's mal so.
01:04:46: Jetzt nur gesetzte Fase zu einem Mindgame.
01:04:49: Du würdest jetzt irgendwie drüber nachdenken,
01:04:51: oh, oh, oh, vielleicht hält diese Ehe nicht für immer.
01:04:55: Wär's einfacher für dich, dich zu trennen,
01:04:57: als Angestellter einer reformierten Landeskirche,
01:05:00: als Pastor oder nicht.
01:05:02: Weil meine These wären nein, kein bisschen,
01:05:04: weil es nicht von der Möglichkeit abhängt, die du hast,
01:05:09: sondern auf die Beziehung ankommt, in der du bist.
01:05:12: Ja.
01:05:15: Also, wie meinst du, dass ...
01:05:17: Ich sag's mal so, wenn ich mich scheiden lassen würde,
01:05:22: dann würde ich gesellschaftlich dafür etwa keinen Preis bezahlen.
01:05:26: Niemand würde mich dafür echten.
01:05:29: Ich würde meinen Job nicht verlieren,
01:05:31: niemand würde hinterfragen, ob ich wirklich ein gläubiger Christ bin.
01:05:35: Das wäre einfach meine Privatsache, geht niemandem was an.
01:05:39: Das wär anders, wenn ich jetzt bei einer Freikirche arbeiten würde.
01:05:43: Da wäre das vielleicht ein Gesprächsthema.
01:05:45: So, und das, was ich jetzt meine ist,
01:05:48: es wäre trotzdem nicht wahrscheinlicher oder einfacher
01:05:52: oder denkbarer für mich, mich scheiden zu lassen,
01:05:55: weil die Frage, ob ich mich scheiden lassen will oder nicht,
01:05:59: die hängt an der Beziehung zu meiner Frau
01:06:02: und wird da drin verhandelt
01:06:04: und nicht vor dem Möglichkeitenspielraum der ganzen Welt.
01:06:08: Wie ich meine Kinder erziehe,
01:06:10: das ergibt sich aus der Beziehung zu meinen Kindern
01:06:13: und nicht aus dem, was irgendjemand in irgendeinem Ratgeber geschrieben hat
01:06:19: und gerade wieder erzählt.
01:06:21: Also dieser Orientierungsbedarf, um den es hier ständig geht,
01:06:25: der ist doch völlig abstrakt
01:06:27: und den gibt es doch in dieser Form gar nicht,
01:06:31: weil er sich doch immer realisiert in konkreten Beziehungen.
01:06:35: Ja.
01:06:36: Ja.
01:06:38: Ich weiss nicht, wie ich dem so langsam schliessen kann.
01:06:41: Ich habe den Teilen rausgekürzt, den kann ich schon gesagt haben.
01:06:46: Weisst du, was ich damit sagen wollte?
01:06:48: Nicht, wie es mir peinlich wäre,
01:06:50: sondern weil ich es gewisse,
01:06:52: ich weiss nicht, ob es sich noch weiterführt.
01:06:55: Ich finde es bspw. schwierig mit der Scheidung,
01:06:58: weil ich es selbstverständlich würde sagen,
01:07:01: dass es natürlich auch von der Art und Weise entscheidend ist.
01:07:05: Natürlich haben die Leute sehr viel länger in einer Ehe ausgehalten
01:07:08: in Zeiten, wo Frauen in Sextenzenminimum
01:07:11: oder in Prekariatkeit sind, wenn sie sich scheiden lassen haben
01:07:15: oder von einer Dorfgemeinschaft gechhten worden sind.
01:07:18: Natürlich haben die 20 Jahre längere Unglücke
01:07:20: oder sogar missbräuchliche Ehe ausgehalten,
01:07:23: als in einer Zeit, in der du weisst, dass sie nicht bestreiten.
01:07:26: Das ist nicht so eine Bestreite.
01:07:28: Was mir darum geht, ist,
01:07:30: ich finde es an deiner Biografie interessant,
01:07:33: dass du in einem beruflichen Umfeld hast geschafft,
01:07:36: wo du einen hohen Preis für eine Scheidung zahlen würdest.
01:07:39: Und jetzt schaffst du in einem beruflichen Umfeld,
01:07:42: wo gar kein Preis für eine Scheidung zahlen würde.
01:07:45: Und die Frage ist, ist es einfacher, sich zu entscheiden oder nicht?
01:07:49: Ich sage nicht, das ist jetzt ein Beispiel dafür,
01:07:52: dass es im 19. Jahrhundert sicherer zu entscheiden wäre.
01:07:55: Weisst du, was ich meine?
01:07:57: Nur damit, dass es eine Möglichkeit zum Raum gegeben ist,
01:08:00: einfacher wird, das zu realisieren.
01:08:02: Weil der Ort der Realisierung liegt in der Beziehung
01:08:05: und nicht in der Welt.
01:08:07: Ja, ja, ja. Ja, voll.
01:08:10: Auch wenn ich sagen würde, wenn es bei uns verschaltet wäre,
01:08:13: wie du es auslaufen würdest,
01:08:16: wäre ich sehr viel lieber bei der Reformierten Kieler angestellt als im ISF.
01:08:20: Weil ich sage, dann hast du quasi nachher
01:08:23: noch gesellschaftliche soziale Aspekte,
01:08:26: die du auch noch durchdenken musst oder erleiden, je nachdem.
01:08:29: Dann musst du noch von den Kielen anstehen und den ganzen Kielen erklären,
01:08:34: warum deine Ehe gescheitert ist.
01:08:36: Das wäre dann ein Zusatz, sich zu erschweren.
01:08:40: Es wäre jetzt wirklich mega interessant.
01:08:42: Ich weiss nicht, ob du das willst, aber ich finde es sehr geil.
01:08:45: Wenn du so reagierst, hast du das Beispiel wirklich interessant.
01:08:49: Weil du weißt, auf der einen Seite,
01:08:51: oder es sei wirklich ein völlig fiktives Beispiel,
01:08:54: es sei natürlich nicht so, dass es nur darum,
01:08:57: dass es einfacher wäre, sich zu entscheiden,
01:08:59: ob du am Morgen aufstehst und denkst,
01:09:01: soll ich das noch nicht machen?
01:09:03: Auf der anderen Seite merkst du, wenn es aber irgendwie so wäre,
01:09:07: dann wäre es einfacher, das unter den Bedingungen zu machen.
01:09:10: Das wäre genau das Geile von positiver und negativer Freiheit.
01:09:14: Ich habe wieder Anschluss verloren.
01:09:16: Ich kann das schon sagen, aber dann müssen sie es weidigen.
01:09:19: Ich kann es wie nicht noch nicht gleich wie einpassen.
01:09:23: Vielleicht mache ich noch einen Satz, wo ich das tut.
01:09:26: Ich weiß nicht, ob das passt oder nicht. Wenn wir es mal probieren.
01:09:29: Ja, das können wir.
01:09:31: Wenn man die Seite aufschreibt, dass man da nicht ... - Sorry.
01:09:34: ... der Brust von außen.
01:09:36: Ich würde es im Falle selbst schon schneiden.
01:09:39: Ja, also ... okay, das Beispiel ...
01:09:45: Ich habe insofern ...
01:09:47: Ich verstehe, glaube ich, was du meinst,
01:09:51: dass man sich für eine so schwerwiegende Sache
01:09:54: die eigene Ehebeziehung betrifft.
01:09:56: Natürlich, zunächst mal, man entscheidet sich
01:09:59: im Blick auf diese Beziehung dafür,
01:10:03: sie aufrecht zu erhalten oder sie zu beenden.
01:10:06: Oder die Ehe zu beenden und nicht aufgrund irgendwelcher ...
01:10:11: ... Folgekosten, die sozial dann anfallen oder so.
01:10:16: Aber ich würde ja doch sagen, es ist für mich selbstverständlich,
01:10:19: dass ich mich lieber, wenn es dazu kommen würde,
01:10:23: dass ich mich lieber in einem Umfeld ...
01:10:26: ... scheiden lassen würde.
01:10:28: Dass mich dafür jetzt nicht verurteilt
01:10:32: oder wo ich mich nicht erklären, großartig erklären müsste,
01:10:37: als in einem Umfeld, wo das dann doch für erhebliche Diskussionen
01:10:43: sorgen würde und ich quasi dann irgendwie vor laufender Kamera
01:10:47: Rechenschaft ablegen müsste darüber, warum meine Ehe gescheitert ist.
01:10:52: Ja, ja, also ...
01:10:54: Das ist völlig klar, da verstehe ich dich total.
01:10:57: Darauf habe ich auch nicht abgezieht,
01:11:00: sondern mein Punkt war eher, nur weil es jetzt gesellschaftlich gesehen
01:11:05: einfacher wäre, einen geringeren Preis, sag ich jetzt auch mal.
01:11:08: Sich scheiden zu lassen, ist ja nicht so,
01:11:11: dass du am Morgen beim Zähne putzen, ständig überlegst,
01:11:14: "Puh, soll ich das jetzt machen oder nicht?"
01:11:17: Und genau so behandeln, aber konservative quasi heranwachsen,
01:11:21: traxende Jugendliche, indem sie ihnen unterstellen,
01:11:24: ja, ja, weil ihr jetzt alles sein könnt
01:11:27: und euch nicht mehr auf eine Binarität der Geschlechter festlegen müsst.
01:11:31: Seid ihr jetzt da die ganze Zeit irgendwie am Herum spielen,
01:11:34: damit was ihr eigentlich sein wollt?
01:11:36: Und da meine ich, ja, das sieht man doch jetzt im Fall der Ehe sehr gut,
01:11:41: was ja weniger schwerwiegend ist, als zu sagen,
01:11:44: ja, was verstehe ich mich?
01:11:45: Also, bin ich jetzt Mann, Frau, etwas anderes,
01:11:48: möchte ich mich gar nicht definieren lassen.
01:11:51: Ich bin ja weniger auf eine Ehe,
01:11:53: als eine Ehe, und es ist doch eine Frechheit quasi zu unterstellen,
01:11:57: na ja, weil ihr jetzt diese Freiheit habt,
01:12:00: quasi seid ihr in der ständigen Versuchung,
01:12:04: da irgendetwas Verrücktes auszuprobieren.
01:12:07: Eigentlich, ich würde sagen, gerade das Beispiel der Ehe
01:12:10: zeigt doch, dass es keineswegs so ist, dass wir sagen,
01:12:14: na ja, nur weil wir das tun könnten, ziehen wir es in Erwägung.
01:12:18: Sondern ob man das in Erwägung zieht oder nicht,
01:12:20: das sind ganz existenzielle Fragen, die sehr, sehr ernsthaft
01:12:24: und sicher nicht nur aufgrund davon,
01:12:26: dass es Möglichkeiten gibt, das zu tun in Betrachtung.
01:12:29: Das meint ich damit. - Ja, ja.
01:12:32: Ja, da geh ich, da geh ich, da komm, absolut.
01:12:36: Also, wenn wir das Ganze jetzt versuchen, zusammenzufangen,
01:12:39: dann Frage, stimmt es denn der These grundsätzlich zu,
01:12:44: dass wir einen Überhang an negativen Freiheiten haben
01:12:50: und einen erhöhten Bedarf an positiven Freiheiten,
01:12:54: denen es zu realisieren gäbe
01:12:57: und dass das Christentum darin eine Rolle spielen sollte?
01:13:01: Ah, ich find das eine schwierige Frage.
01:13:07: Ich würde mir schon wünschen,
01:13:10: dass vom Christentum aus, von christlichen Kirchen aus,
01:13:14: irgendwo inspirative Impulse und Leidenschaft
01:13:20: und Visionen kommen,
01:13:21: die Menschen, auch junge Menschen, irgendwo packen
01:13:24: und wo sie sagen, ja, das ist irgendwie ...
01:13:27: Das erfüllt mich mit Lust mitzumachen.
01:13:32: Da klinke ich mich mit ein.
01:13:34: Da möchte ich gesellschaftsverändernd, sozial, diakonisch,
01:13:39: wie auch immer Einfluss nehmen.
01:13:41: Das ist so quasi eine Greater Cause, eine Greater Purpose,
01:13:45: der ich mich verschreibe.
01:13:47: Und ich fände das eigentlich ganz großartig,
01:13:49: wenn Kirchen und das Christentum
01:13:52: nicht nur versuchen würde,
01:13:55: auf irgendwelche aktuellen gesellschaftlichen Bewegungen
01:13:58: aufzuspringen und sagen, das gibt's dann im Fall auch in Getauft.
01:14:02: Sondern wenn man ...
01:14:04: Wenn wir irgendwie selber genug inspiriert wären
01:14:09: und genug visioniert wären,
01:14:11: um auch jungen Menschen einen Grund zu geben, zu sagen,
01:14:14: da klinke ich mich mit ein.
01:14:17: Das wäre ja dann eine Art der positiven Freiheitsverwirklichung,
01:14:21: wo Leute sagen, doch, diese Art der Lebensgestaltung
01:14:24: mach ich mir zu eigen.
01:14:26: Das würde ich mir schon wünschen, ja.
01:14:28: Ich selbst hab eigentlich gar kein Problem
01:14:31: mit der wachsenden negativen Freiheit,
01:14:34: weil ich sagen, das ist eine reformatorische Erfolgsgeschichte.
01:14:38: Also, diese Idee, dass jeder selbst vor Gott steht
01:14:42: und mit seinem Gewissen ausmachen muss,
01:14:45: wie er sein Leben leben will,
01:14:47: wird natürlich reizvoller,
01:14:50: je mehr Realisierungsmöglichkeiten es überhaupt gibt.
01:14:53: Und ich selbst glaube, wir müssen als Christen und das Kirche
01:14:57: eher lernen, ein bisschen demütiger hinzuschauen,
01:15:00: wo sich denn so was wie "Reich Gottes" durch Menschen,
01:15:04: die das verwirklichen, was die wirklich selbst sind und sein wollen,
01:15:09: eigentlich schon ereignet,
01:15:11: statt immer zu bedauern, dass wir selbst nicht
01:15:14: alle diese Anlässe organisieren, wo das passiert.
01:15:17: Stefan, wir sind über Zeit.
01:15:20: Ja.
01:15:21: Ich hab die Befürchtung,
01:15:24: dass wir noch eine Folge anhängen müssten.
01:15:27: Was? - Nochmal.
01:15:29: Also, ich wär bereit, noch mal eine Folge anzuhängen.
01:15:33: Ich fände es aber spannend,
01:15:35: noch mal wirklich sich dann auf eine konkrete Folge,
01:15:39: von "Glauben und Gesellschaft", Podcast zu beziehen.
01:15:42: Ich würde zum Beispiel sagen,
01:15:43: dann lass uns mal ganz konkret eine Folge machen,
01:15:46: zum Beispiel zu dem Gespräch,
01:15:48: das ich mit Johannes Hartl geführt hab.
01:15:50: Oder eine andere Folge.
01:15:52: Und mein Vorschlag wäre, du wählst bis nächste Woche eine Folge aus,
01:15:56: schickst mir das aber vorher, dass ich's hören kann.
01:15:59: Und dann diskutieren wir drüber.
01:16:01: Let's try this. - Okay.
01:16:03: Good. - Dann bis nächste Woche.
01:16:04: Tschüss.
01:16:06: Breath Lab.
01:16:09: SWR 2020
01:16:12: SWR 2020
01:16:15: SWR 2020